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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Mahler

Minnesota Orchestra Osmo Vänskä

BIS 2266

1 CD/SACD stereo/surround • 1h 27min • 2016

16.05.2018

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Dies ist eine nach heutigen Begriffen gute Aufnahme, zudem bestens ediert und mit exzellentem Begleittext des Mahler-Experten Jeremy Barham versehen. Sie klingt enorm direkt und präsent, vordergrundbetont und vor allem flott - zumal in den Ecksätzen wie im Scherzo. Und gerade das ist auch sogleich Problem dieser rundum sehr beachtlichen Realisation unter dem finnischen Dirigenten Osmo Vänskä, der seit anderthalb Jahrzehnten in Minnesota eine stabile Orchesterkultur aufgebaut hat, die speziell in Amerika einen brillanten Ruf besitzt. Vänskäs Mahler ist nach Sibelius und Beethoven das nun laufende Aufnahme-Großprojekt mit dem Minnesota Orchestra. Bereits erschienen ist die Fünfte aus der Trias jener drei rein instrumentalen symphonischen Monumente Mahlers.

Hier nun die Sechste, die - wie Mahler wollte - ‚Tragische‘. Wobei die Tragik im dialektischen Wechsel besteht, und den definieren die Ecksätze. Vänskä gelingt mit seinen hochklassigen Musikern das Andante moderato betörend in der Klangentfaltung wie lyrischen Intensität, und da ist man verführt zu meinen, so himmlisch sei die Welt in Permanenz, weil bei Vänskä dieses herrliche Andante ein Idyll ohne Bedrohung bleibt, als wolle er von Kafkas ‚Auf der Galerie‘ eben nur den einen ersten Teil wahrhaben und jenes „Da es aber nicht so ist“ … aussparen. Bei Mahler - wie etwa auch bei Hölderlin - geht es jedoch um diese Bedrohung: um eine Menschheit also, die durch sich selbst die Wiederkehr des Göttlichen in unsere Welt verbaut. Den Augenblick einer antizipierten Einheit von Mensch und Gott, den erlebt man bei Vänskä in Schönheit - die anderen Sätze bleiben durch gewisses Leichtgewicht merkwürdig flach.

Irritation dieser - und nicht nur dieser - Aufnahme sind die Allegro-Ecksätze, die zwei Drittel des Werkes ausmachen und deren von Mahler je beigesetzter Begriff ‚energico‘ heute zumeist als Geschwindigkeitsmerkmal missdeutet wird. Wenn nicht im Kopfsatz der Marschduktus der Bässe „heftig, markig“ aus der Abgrund-Tiefe kommt mit Höllengewalt, aus der sich das Allegro als solches herauswindet, dann wird der gesamte Kontext flach und flott. Dieses Problem hat Klemperer, der wie Walter die Sechste mied, an der Siebten ex cathedra demonstriert durch die einzig treffende fatal zähe Temponahme. Hammerschläge und Herdenglocken, Mahlers außermusikalische Signale der Sechsten, werden in der Gewalt ihres Gegensatzes durch Zügigkeit entwertet, in ihrer Tragik also, wenn die Spannung zwischen Himmel und Erde sich interpretativ nicht herstellt. Und das geschieht bei Vänskä - im Kopfsatz wird es zur Verhinderung des Tragischen; im finalen Allegro energico - nach der, ‚sostenuto‘ beginnend, auskomponierten Tempofindung - weniger auffällig, bleibt dennoch zu horizontal gedacht, die Vertikale vernachlässigend, den Abgrund gleichsam.

Und das macht nachdenklich: Mahler ist uns in seiner Fatalität so nahe heute, einerseits; andererseits wird er derzeit fast durchwegs zur absoluten Kunst-Musik gemacht. Fesselt uns deren radikal dialektische Struktur nur noch jenseits der Mahlerschen Inhalte? Nur einige wenige Interpreten, einige der ‚Alten‘, Mahlers Mentalität nahen vermochten den schwerlastigen Grundschlag im Sinne von Mahlers Metaphysik zu erspüren: ganz überzeugend eigentlich im Falle der Sechsten fast nur Sir John Barbirolli in seiner Meisteraufnahme mit New Philharmonia. Aber auch Mitropoulos geht den radikal Mahlerschen Weg. Und irgendwie dreht sich alles dabei eben doch immer wieder um dieses kaum treffbare Tempo, diesen schweren Grundschlag der befrachteten Welt … Dass Vänskä jenes Andante, das er so himmlisch erblühen macht, an zweiter Stelle im Werkganzen verpuffen lässt, ist zwar, da Mahler selbst schwankend war in der Praxis, legitim, hätte jedoch vor dem Finale positioniert das Monument ‚Sechste‘ unter Vänskäs Händen in seiner Botschaft gewiss stabilisiert.

Georg-Albrecht Eckle [16.05.2018]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Gustav Mahler
1Sinfonie Nr. 6 a-Moll (Tragische) 01:26:48

Interpreten der Einspielung

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