Sibelius • Kortekangas
Kullervo • Migrations
BIS 9048
1 CD/SACD stereo/surround • 1h 54min • 2016
16.02.2017
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Vor drei Jahren hat Olli Kortekangas seine Migrations für Mezzosopran, Männerchor und Orchester geschrieben. Der Auftrag dazu kam von Osmo Vänskä und dem Minnesota Orchestra, und die Parameter waren, wie der heute 62-jährige Finne selbst bemerkt, klar bestimmt: „Erstens sollte das Werk den 150. Jahrestag des Beginns der neuzeitlichen finnischen Einwanderung in Nordamerika begehen, und zweitens sollte es – wenngleich von erheblich kürzerer Dauer – mit Jean Sibelius’ Kullervo gekoppelt werden können. Dies hatte mithin Auswirkungen auf die Thematik, die Textauswahl und den Aufbau meines Werkes”.
Was die Besucher der Konzerte, die am 4., 5. und 6. Februar 2016 in Minneapolis stattfanden, als Resultat des Auftrags zu hören bekamen, erfüllte alle Kriterien. Mit knapp 25 Minuten betrug die Spieldauer der Migrations genau ein Drittel der Zeit, die der Kullervo ausfüllt. Die Texte stammen aus der Feder einer amerikanischen Dichterin, die als Kind mit ihrer Familie in die USA kam und sich tiefschürfende Gedanken über die mentalen Seiten des Einwanderns macht („Viele glauben, dass der Wechsel zu einer neuen Sprache andere Aspekte des Ich zum Vorschein bringt”). Die Gliederung des Werkes in vier vokale Sätze und drei knappe, bemerkenswert fasslich komponierte Zwischenspiele garantieren ein problemloses Hör-Erlebnis. Die Solistin Lilli Paasakivi hat dankbare, tatsächlich sangliche Aufgaben zu lösen, der YL Männerchor kann sich vor allem durch rhythmisch-repetitive Textvertonungen hervortun, das Orchester und seine Soli sind ansprechend und des Öfteren mit imitatorischen Linienführungen eingesetzt, die schon bei der ersten Begegnung Momente der Vertrautheit erzeugen. Kurzum: Ein durchaus annehmbares Stück aktueller Musik, das sich am besten goutieren lässt, wenn man nicht versucht, sich in die scheinbaren philosophischen Tiefen zu begeben.
Es ist freilich leicht auszurechnen, dass die „Wanderungen” im direkten Kontakt mit dem Kullervo förmlich pulverisiert werden. Obwohl das kapitale Frühwerk des großen Alten bei den drei Live-Aufführungen eher auf äußere Effekte abgestellt wurde, würgt sich die urtümliche Kraft bei jedem neuen Durchgang durch die Oberfläche hindurch wie Baumwurzeln durch glänzenden Asphalt: Trotz einiger Hetze, die sich vor allem im vierten Satz („Kullervo zieht in den Krieg”) nicht verlieren will, ist nach einigen Wiederholungen so viel „Sibelius” zugegen, dass die kurzen Schwächephasen der Konzertaufführung zusammenschrumpfen. Ins Zentrum rücken die vorzüglichen Holzbläser-Soli und die mächtigen Anteile des YL Männerchores, der hier – anders als bei den englischen Texten von Sheila Packa – mit Herzenslust seinen Heimvorteil ebenso ins Treffen führt wie die beiden Sänger: Tommi Hakala nimmt die Figur des tragischen Titelhelden mit einer packenden Mischung aus tenoraler Lyrik und „bassöser” Aggressivität, und Lilli Paasikivi vermag ihrer Partie einige kokette Facetten einzuschleifen, die andeuten wollen, dass zur Verführung immer zwei gehören. Jedenfalls könnte ich mir die beiden mitsamt dem kommentierenden Chor sehr gut mit dieser dramatischen Szene auf einer Bühne vorstellen – und danach „Die Jungfrau im Turm”, die bis heute kaum jemand mag.
Dass Osmo Vänskä bei der nachgereichten Finlandia den ohnehin anwesenden Chor einbezogen hat, ist begreiflich. Die Reaktion auf die schmetternde Zugabe fiel denn auch wie erwartet aus: Grenzenloser Jubel belohnte die Ausführenden.
Rasmus van Rijn [16.02.2017]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Jean Sibelius | ||
1 | Kullervo op. 7 für Soli, Männerchor und Orchester (Sinfonisches Gedicht) | 01:19:29 |
CD/SACD 2 | ||
Olli Kortekangas | ||
1 | Migrations | 00:25:22 |
Jean Sibelius | ||
8 | Finlandia op. 26 No. 7 | 00:08:19 |
Interpreten der Einspielung
- Lilli Paasikivi (Mezzosopran)
- Tommi Hakala (Bariton)
- YL Male Voice Choir (Chor)
- Minnesota Orchestra (Orchester)
- Osmo Vänskä (Dirigent)