Sokolov
Schubert // Beethoven
DG 00289 479 5426
2 CD • 2h 18min • 2013
09.02.2016
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Grigory Sokolov und die Deutsche Grammophon zum Zweiten! Für dieses sicher von vielen Klavier- und Sokolov-Enthusiasten sehnlichst erwartetes Doppelalbum hat sich der Pianist zu Ausschnitten zweier Klavierabende aus dem Jahr 2013 entschieden. Die beiden Schubert-Kapitel D 899 und D 946 sind Teile eines Programms, das Sokolov am 12. März in Warschau gespielt hat, Beethovens Hammerklaviersonate und eine reichhaltige, längst übliche Geschenkpackung von Zugaben vom 23. August – hier mit Stücken von Rameau und einem Brahmsischen Intermezzo-Lebewohl – sind dem alljährlichen Salzburg-Besuch des Interpreten „entnommen“.
Mit Beethovens monumentaler B-Dur-Sonate op. 106 kehrt Sokolov gleichsam zurück in ein frühes Kapitel seiner Westeuropa-Präsenz. Für die in den 70er-Jahren äußerst fruchtbare Melodya/Eurodisc-Kooperation begab er sich mehrmals ins Studio. Neben einer ungemein kraftvollen, zugleich schlank beherrschten Hammerklaviersonate entstanden u.a. Einspielungen etwa des e-Moll-Konzerts von Chopin, der Petruschka-Suite von Strawinsky und der D-Dur-Sonate op. 10,3 von Beethoven. Hört man Beethovens „Große Sonate für das Hammerklavier“ – seinerzeit als unspielbar eingeschätzt, von Franz Liszt erstmals öffentlich vorgetragen –, hört man also nun Sokolovs Salzburger Wiedergabe (oder war im günstigsten Fall sogar im Großen Festspielhaus), dann besteht kein Zweifel, dass der Pianist in großem, zuweilen fast unvorstellbarem Maße an Klangintensität, an Differenzierung noch in kleinsten Mitteilungseinheiten gewonnen hat. Dies gilt für die Extremwerte im Bereich des Leisen knapp an der Grenze des Versiegens und Verstummens. Das gilt für die je nach Bedarf gebündelten, massierten Kräfte in den Regionen des Majestätischen, des Zorns oder auch der puren Ausgelassenheit. Hier wird der Sokolv-kundige Leser Einhalt gebieten, denn Ausgelassenheit gehört ja bekanntlich nicht zu Sokolovs expressivem Repertoire – zumindest nicht auf dem Podium. Wie dieser in frühester Kindheit gleichsam glücklich dem Klavier entbundene Musikmensch jedoch die unsäglichen Schwierigkeiten der finalen Fuge bewältigt, deren konstruktiv-wirre, ächzende, von meckernden und klirrenden Trillern befleckte Linien entwirrt – dies lässt an eine bis dato nicht gekannte Stufe der unbändigen und zugleich gebannten Ausgelassenheit denken.
Sokolov und Schubert! Der Hörer befindet sich – wie mir auch hier wieder vorkommt – auf einem variablen Platz des lauschenden Beobachtens. Er erlaubt es ihm, die Impromptus und die Klavierstücke wie von Außen und zugleich wie von Innen zu erleben, mehr noch: sie von Sokolov bis in ihre geheimsten Winkel ausgeleuchtet sozusagen zu begehen. Dieser Meister kommunikativer Einsamkeit versteht es, solche Stücke in ihrer ganzen Dichte und im selben Moment auch in ihrer ganzen Lichte, in ihren materiellen Gegebenheiten und in ihren spirituellen Möglichkeiten auf eine Weise anschaulich zu gestalten, die vom ersten Tom an musikalische und musikantische Neuigkeit und Unverbrauchtheit signalisiert. Ich nenne hier nur das im Allgemeinen sehr schnell und leider oft genug auch schludrig-verhetzt gespielte Es-Dur-Impromptu (D 899,2). Sokolov verleiht den auf- und abgleitenden Skalen Biegsamkeit und völlig entmechanisierte Geläufigkeit. Keine Spur von sinnentleertem Etüdengefingere! In den markanten, härter abgefassten Abschnitten wird Sokolov nicht müde, abzustufen und abzuschattieren, nach neuen Binnenereignissen Ausschau zu halten. Im Verlauf der rund 35 wahrhaft wundersame Minuten in Anspruch nehmenden Klavierstücke D 946 kommt es schließlich immer wieder zu Momenten, wenn man will: zu wie von allem Irdischen erlösten Augenblicken. Im Konzertsaal wie zu Hause vor den Lautsprechern erwecken sie Dankbarkeit, solche Größe, Innigkeit und Verletzlichkeit des Klavierspiels erleben zu dürfen.
Im Umfeld von Sokolovs in jeder Hinsicht faszinierenden Rameau-Enthüllungen erlaube ich mir, den Herausgeber auf einen günstigen Umstand hinzuweisen. Mir liegt auf VHS ein klanglich und optisch ausgezeichneter Konzertmitschnitt des spanischen Fernsehens vor. Im März 1998 spielte Sokolov in Madrid einen halben Abend neun Stücke von Rameau – darunter auch dis akustische Hofintrigantensatire La Poule. Im zweiten Teil brachte der Pianist Beethovens Sonnate op. 31,1 und von Brahms die C-Dur-Sonate op. 1.. Was stünde dagegen, diesen einzigartigen Abend im Auditorio Nacional einer breiten Musiköffentlichkeit zugänglich zu machen?
Vergleichseinspielung: Beethoven – Sokolov (München 18./19.11.1975 – Melodya/Eurodisc LP 89 701 KK bzw. Mobile fidelity MFCD 922)
Peter Cossé † [09.02.2016]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Impromptu c-Moll op. 90 Nr. 1 D 899 Nr. 1 | 00:10:35 |
2 | Impromptu Es-Dur op. 90 Nr. 2 D 899 Nr. 2 | 00:05:46 |
3 | Impromptu Ges-Dur op. 90 Nr. 3 D 899 Nr. 3 | 00:05:25 |
4 | Impromptu As-Dur op. 90 Nr. 4 D 899 Nr. 4 | 00:08:23 |
5 | Klavierstück es-Moll D 946 Nr. 1 (op. post.) | 00:14:11 |
6 | Klavierstück Es-Dur D 946 Nr. 2 (op. post.) | 00:13:34 |
7 | Klavierstück C-Dur D 946 Nr. 3 (op. post.) | 00:07:13 |
CD/SACD 2 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Klaviersonate Nr. 29 B-Dur op. 106 (Hammerklaviersonate) | 00:52:44 |
Jean-Philippe Rameau | ||
5 | Pièces de clavecin avec une méthode sur la mécanique des doigts | 00:03:36 |
6 | Pièces de clavecin avec une méthode sur la mécanique des doigts | 00:02:24 |
7 | Pièces de clavecin avec une méthode sur la mécanique des doigts | 00:03:59 |
8 | La Follette | 00:01:53 |
9 | Nouvelles pièces de clavecin | 00:02:24 |
Johannes Brahms | ||
10 | Intermezzo b-Moll op. 117 Nr. 2 | 00:06:17 |
Interpreten der Einspielung
- Grigory Sokolov (Klavier)