Ondine ODE 1273-2
1 CD • 77min • 2014
25.08.2015
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Kaum ein zweites Werk der Musikgeschichte im weitesten Sinn wird mit einem Interpreten in Zusammenhang gehört und betrachtet wie Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen. Es war zunächst die rasante, freche, manuell überragend gewandte Studio-Aufnahme mit Glenn Gould aus dem Jahr 1955, in den 80er-Jahren in verhalteneren Zeitmaßen von Gould gedoubelt und somit gleichsam einen musikalischen Lebensbogen von der Jugend bis ins leider nicht allzu hohe Alter schlagend. Inzwischen gilt das Werk den Pianisten aller Lebensabschnitte nicht mehr als heilig und allenfalls unter besonderen künstlerischen Umständen als antastbar. Zu den wenigen Einspielungen aus alten Tagen (Tureck, Kempff, Serkin, Arrau) ist eine erkleckliche Anzahl von Interpretationen hinzugekommen, jüngst auch eine in jeder Hinsicht auffällige von Tzimon Barto, in deren Verlauf das Thema und zahlreiche Variationen wie mit einer akustischen 3000-Bilder-pro-Sekundekamera untersucht und verzögert aufgezeichnet wirken.
Lars Vogt gibt sich in seiner Darstellung im Vergleich zu vielen seiner Kollegen recht leutselig, das heißt: eine rhythmisch prägnante Variation „a 1 Clav.“ wie die vierte erklingt nicht annähernd so gemeißelt oder gar gehackt wie in manchen Versionen aus der Sicht von aufführungspraktisch geschulten Mitbewerbern. Vogt – das zeigt schon die erste Variation in all ihrer drängenden, dringlichen, ja optimistischen Aufgeregtheit – gibt sich gewissermaßen allen Ernstes prächtig unterhaltend. Das ariose Thema empfinde ich als schlicht, aber mit kleinen dynamischen und anschlagstechnischen Raffinessen vorgetragen, in den Wiederholungen um eine Nuance behutsamer ausgeleuchtet. Es ist das wundersame Terrain, der akustische Mutterboden für ein kompositorisches Wachstum, für dessen Gesundheit und in manchen Momenten auch für dessen Ausgelassenheit Vogt die jeweils günstige pianistische Düngung findet.
Hier wird nicht mit virtuosen Grenzwerten für Aufregung und Staunen gesorgt. Vielmehr bürgt Vogt in den vertracktesten Kreuzlinienführungen für Klarheit und Luftigkeit – und dies nicht nur dann, wenn die Hände verwirrend über das Manual gesteuert werden, sondern zudem auch noch Trillerkombinationen den Parcour erschweren. Wie munter, ja sogar ein wenig aufmüpfig das klingen kann, lässt sich etwa in der Variation 23 „a 2 Clav.“ verfolgen, in deren Verlauf die rechte Hand wachsam den Gegenverkehr der linken bewältigen muss – und diese dabei stets bereit sein muss, jenen der rechten Hand auch in umgekehrter Fahrtrichtung zu meistern.
Mit den langsamen, den andächtigen Passagen (Variation 25 „a 2 Clav. adagio“ vor allem) scheint Vogt ein entspanntes Verhältnis einzugehen. Niemals weht die ästhetische Fahne auf Halbmast, immer – so empfinde ich seine musikalische Wortwahl – befinden wir uns auf der Habenseite des Lebens, in einem Milieu des entspannten Wartens und Erwartens. Das Da Capo der Aria am Ende dieses ungeheuerlich schönen Ausflugs in die allgegenwärtige Vergangenheit behandelt Vogt um eine Spur bedächtiger als zu Beginn. Es ist ein Ausatmen, ein Abschied – jedoch nicht für immer, wie man es in der späten Gould-Einspielung schmerzlich erahnen mochte.
Vergleichseinspielungen: Weissenberg (EMI LP 2C 065-11644/45, EMI LP 1C 157-73091/92), Tipo (EMI LP 2704381), Gould (1955 CBS MYK 44868, bzw. Sony SMK 52595, Salzburg 1959 Sony SMK 52 685), Rosen (Sony SBK 48173), Kempff (DG 439 978-2), Barto (Capriccio C 5243)
Peter Cossé † [25.08.2015]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Goldberg-Variationen BWV 988 | 01:16:38 |
Interpreten der Einspielung
- Lars Vogt (Klavier)