cpo 777 816-2
2 CD • 2h 10min • 2013
01.08.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Als Giacomo Puccini 1913 zur Erstaufführung seiner Fanciulla del West nach Wien kam, lernte er dort seinen erfolgreichen Komponisten-Kollegen Franz Lehár kennen und schätzen. Aus dieser Bekanntschaft ergab sich ein lukrativer Auftrag an den Italiener, für das Carl-Theater eine Wiener Operette zu schreiben. Puccini wusste, dass dieses Genre wegen ihres Nummerncharakters seinem Kompositionsstil nicht entsprach, nahm das Angebot aber an, unter der Voraussetzung, es nach seinen stilistischen Vorstellungen gestalten zu können. Als Sujet akzeptierte er ein Libretto des schon bei Lehár bewährten Autoren-Tandems Alfred Maria Willner und Heinz Reichert, Die Schwalbe, mit dessen Komposition er im September 1914 begann. Kurz zuvor hatte Lehár die Arbeit an der Operette Wo die Lerche singt aufgenommen, deren Text ebenfalls von Willner und Reichert stammte.
Der Erste Weltkrieg brachte auch die bis dahin heile Wiener Operettenwelt in Unordnung. Sowohl Puccini wie Lehár mussten ihre Arbeit unterbrechen und wandten sich anderen Projekten zu. Puccinis „Schwalbe“ kam als italienische Oper La rondine 1917 in Monte Carlo heraus und fand bei der Wiener Premiere 1920 ein nur mattes Echo. Wo die Schwalbe singt erlebte ihre Uraufführung in ungarischer Sprache 1918 in Budapest und erwies sich bei der im selben Jahr stattfindenden Wiener Premiere als überaus erfolgreich, brachte es am Theater an der Wien auf stattliche 416 Vorstellungen. Heute ist das Stück gründlich vergessen, während La Rondine zwar als schwächerer Puccini eingestuft wird, aber auf den internationalen Bühnen immer dann wieder auftaucht, wenn eine geeignete Diva zur Verfügung steht.
Beim Lehár Festival in Bad Ischl hat man die „Lerche“ im vergangenen Jahr in einer halbszenischen Aufführung erneut auf den Prüfstand gestellt und mit einer CD-Aufzeichnung zugleich eine Lücke in der Lehár-Diskographie gefüllt. Obwohl dem Regisseur Leonard Prinsloo in den mir vorliegenden Kritiken viel Phantasie und Kunstfertigkeit nachgerühmt wurde, habe ich meine Zweifel, ob dieses Nebenwerk Lehárs dauernde Repertoirechancen auf deutschsprachigen Bühnen haben wird. Das liegt weniger an der Musik als an der dramaturgisch recht wackeligen Anlage des Buches.
Die Handlung, die auf eine Schwarzwaldgeschichte Berthold Auerbachs zurückgeht, nach dem Willen der Librettisten erst in Russland spielen sollte, was dann aus Kriegsgründen nicht mehr opportun war, wurde letztendlich nach Ungarn verlegt. Der Maler Sándor verliebt sich in der Puszta in die junge Bäuerin Margit, die ihm Modell sitzt und will dafür seine langjährige Geliebte, die Sängerin Vilma, verlassen. Margit trennt sich von ihrem bäuerlichen Verlobten Pista, der im ersten Finale – eine Reminiszenz an Cavalleria rusticana – das Messer gegen den Nebenbuhler zückt. In Budapest kommt es dann zum Kulturcrash. Die natürliche und naive Margit passt nicht in Sándors Schickeria-Welt und der Maler, nachdem er mit Margits Porträt einen Preis errungen hat, kehrt reumütig zu Vilma zurück. Margit kehrt aufs Land zurück und gibt sich mit ihrem Pista zufrieden.
Für Lehár bietet das Libretto, in dem keine der Figuren überzeugend entwickelt wird, immerhin einige Möglichkeiten, ungarisches Kolorit in die Partitur einzubringen. Die zahlreichen Tänze und Lieder sind denn auch der Aktivposten dieses sehr dialogreichen Stücks. Einige Nummern, die dann auch wiederholt werden, prägen sich dem Gedächtnis ein – das couplethafte „Lied von Temesvar“ des alten Bauern Pál, die Tanzpolka „Wer ist denn der Mann mit der schönen Frau“ und das Walzerduett „Fern wie aus vergang’nen Tagen“.
In Bad Ischl hat man dem Stückchen eine respektable Ehrenrettung verschafft. Der Dirigent Marius Burkert meidet Kitsch und aufgesetztes Opernpathos, holt stattdessen kammermusikalische Finessen aus der Partitur heraus. Die Sänger können sich hören lassen: Sieglinde Feldhofer als „Lerche“ Margit ist eine lyrische Koloratursoubrette mit ansprechendem Timbre, Miriam Portmann spielt als mondäne Vilma ihre reichen Erfahrungen als Operettendiva aus, der ukrainische Tenor Jevgenij Tauntsov schmeichelt dem Ohr, solange er im mittleren dynamischen Bereich bleibt, und Gerhard Ernst macht aus dem alten Bauern eine anrührende Figur.
Man lernt in dieser Aufnahme die Qualitäten der Operette schätzen, auch wenn man kaum in Puccinis Eloge „Erquickend frisch, genial, voll von jugendlichem Feuer!“ einstimmen wird.
Ekkehard Pluta [01.08.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Lehár | ||
1 | Wo die Lerche singt (Operette in vier Bildern) |
Interpreten der Einspielung
- Gerhard Ernst (Török Pál, ein alter Bauer)
- Sieglinde Feldhofer (Margit, Török Páls Enkelin)
- Jevgenij Tauntsov (Sándor Zapolja, ein Maler)
- Wolfgang Gerold (Baron Árpád Ferenczy, Sándor Zapoljas Freund)
- Miriam Portmann (Vilma Garamy, Sängerin)
- Florian Resetarits (Bodroghy Pista, ein Bauernbursche)
- Sinja Maschke (Borcsa, Dienstmagd)
- Chor des Lehár Festivals Bad Ischl (Chor)
- Franz Lehár-Orchester (Orchester)
- Marius Burkert (Dirigent)