Giacomo Meyerbeer Vasco de Gama
cpo 777 828-2
4 CD • 4h 15min • 2013
20.05.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Giacomo Meyerbeers letzte Oper L’Africaine wurde nach dem Kriege auf den internationalen Bühnen nur selten gespielt und es gibt auch keine Studio-Aufnahme davon. Eine Produktion des BR von 1977 unter Gerd Albrecht mit Martina Arroyo, Giorgio Lamberti und Sherrill Milnes ist nie offiziell auf den Markt gekommen. Die meisten Opernfreunde dürften von diesem Stück nur die beiden „Schlager“ kennen: Vasco da Gamas O paradis und Néluskos Adamastor-Arie. Nun ist bei cpo eine Aufnahme aus der Chemnitzer Oper heraus gekommen, die an Komplettheit nicht zu überbieten sein dürfte und uns vorher ungeahnte Erkenntnisse über dieses Hauptwerk des musikalischen Exotismus vermittelt.
Zunächst diese: dass die Afrikanerin in Wahrheit eine Inderin ist. Denn was uns seit 150 Jahren als L’Africaine verkauft wurde, ist nicht die Oper, die Meyerbeer hinterlassen hat, sondern eine nach seinem Tode verfertigte Bearbeitung des belgischen Musikwissenschaftlers François-Joseph Fétis. Nach der triumphalen Pariser Uraufführung (1865) hat sich diese korrumpierte Fassung weltweit durchgesetzt. Im Booklet gibt Carla Neppl einen interessanten Aufriß der Entstehungsgeschichte des Werkes, die ich hier in gebotener Kürze rekapitulieren will. Bereits 1837, ein Jahr nach dem großen Erfolg der Huguénots, unterschrieb Meyerbeer den Vertrag für eine neue Oper auf ein Libretto von Eugène Scribe, die drei Jahre später Premiere haben sollte: L’Africaine handelt von der unglücklichen Liebe einer afrikanischen Königstochter zu einem portugiesischen Seeoffizier, der sich schließlich für eine andere Frau entscheidet, woraufhin sie unter den giftigen Düften des Manzanilla-Baums den Freitod sucht. Nach anfänglicher Begeisterung für das Sujet verlor Meyerbeer das Interesse daran und wandte sich anderen Projekten zu, was auch mit seinem Wechsel von Paris nach Berlin zusammenhing.
Als er gemeinsam mit Scribe 20 Jahre später den Stoff wieder aufnahm, fiel die Entscheidung, statt des unprofilierten Seefahrers den großen Entdecker Vasco da Gama zu einer Zentralfigur des Stückes zu machen, und in Konsequenz den Schauplatz von Afrika nach Indien zu verlegen. Doch während der Arbeit starb Scribe und auch Meyerbeer erlebte die Uraufführung seiner Oper, die den Titel Vasco de Gama tragen sollte, nicht mehr. Seinem Tagebuch zufolge war die Partitur im November 1863, mit Ausnahme einiger Orchesterstücke, fertiggestellt. Als er im Mai des folgenden Jahres starb, wollte der Bearbeiter Fétis dem Publikum, das immer noch auf L’Africaine wartete, das Stück unbedingt auch unter diesem Titel präsentieren, behielt allerdings die Figur des Vasco und die Brahma-Kultszenen bei, woraus sich dramaturgischer Nonsense ergab, an dem sich damals wie auch später offenbar niemand störte.
Gravierender noch waren die zahlreichen Eingriffe in die Partitur, die inhaltlichen Änderungen und Streichungen wichtiger Szenen. Die kritische Ausgabe von Jürgen Schläder, die der Chemnitzer Aufführung zugrunde liegt, stellt die Fassung her, die der Komponist hinterlassen hat, wobei anzunehmen ist, dass der Theaterpragmatiker Meyerbeer nach seiner Gewohnheit während der Proben noch einige Änderungen vorgenommen hätte.
Das Stück, wie es jetzt in Chemnitz quasi uraufgeführt wurde, ist eine Grand Opéra von monumentalen Ausmaßen und mit viereinhalb Stunden Spieldauer am Limit dessen, was die Ausführenden, aber auch die Zuhörer an einem Stück verkraften. Die musikalische Qualität ist nicht einheitlich, handwerklich Solides mischt sich mit Inspiriertem und dramatisch Aufwühlendem. Da wo der Großmeister des Operntableaus sich in die Bereiche des Musikdramas im Wagnerschen Sinne vorwagt, etwa in den großen Duetten zwischen Don Pedro und Vasco im 3. sowie zwischen Sélika und Inés im 5. Akt, bleibt er relativ konventionell und unpersönlich. Grandios gelungen und zu Herzen gehend ist dagegen das Duett des 4. Aktes, in dem Vasco vorübergehend Sélikas Zauber verfällt.
Die cpo-Aufnahme ist kein Mitschnitt, sondern unter Studio-Bedingungen im Theater entstanden. Dabei ist der Elan, den die Kritik der Produktion attestiert hat, möglicherweise etwas verloren gegangen. Das wird aber aufgewogen durch eine Präzision, die Meyerbeers Partitur in den schönsten Farben schillern läßt. Was die Robert Schumann Philharmonie unter Leitung von Frank Beermann leistet, ist schlichtweg fabelhaft. Ohne dass der große Bogen verloren geht, wird hingebungsvoll an Details gearbeitet, Transparenz des Klangs verbindet sich mit dramatischem Feuer.
Bernhard Berchtold singt sich mit Vasco in die erste Reihe der heutigen Tenöre. Er bewältigt die mörderisch schwere Partie technisch souverän, mit Glanz und Strahlkraft auf der einen Seite, mit sicherem Gefühl für das musikalische Idiom auf der anderen. Da ist nichts forciert, gestemmt oder gebrüllt, der französische lyrische Stil wird so gut getroffen wie heute selbst von französischen Sängern nur noch selten. Der interessant timbrierten, ausdrucksstarken Claudia Sorokina fehlen für Sélika ein bißchen die Wärme und der exotische Touch. Imposant eher als elegant, aber insgesamt rollendeckend gestaltet Pierre-Yves Pruvot den Sklaven Nélusko, Guibee Yang setzt für Inés ihren leichten lyrischen Sopran überwiegend klangschön und gefühlvoll ein.
[20.05.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Giaccomo Meyerbeer | ||
1 | Vasco de Gama (Oper in fünf Akten; Originalversion von Die Afrikanerin) | 02:55:20 |
Interpreten der Einspielung
- Bernhard Berchtold (Vasco de Gama - Tenor)
- Claudia Sorokina (Sélika, Sklavin - Sopran)
- Pierre-Yves Pruvot (Nélusko, Sklave - Baß)
- Guibee Yang (Inès - Sopran)
- Kouta Räsänen (Don Pédro - Baß)
- Rolf Broman (Der Großinquisitor von Lissabon - Baß, Der Oberpriester des Brahma - Baß)
- Chor der Oper Chemnitz (Chor)
- Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz (Orchester)
- Frank Beermann (Dirigent)