Christoph Graupner
Bass Cantatas
cpo 777 644-2
1 CD • 71min • 2010
10.06.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Was wäre, wenn? Solche geistigen Spiele sind zwar unnütz, doch verlockend. Was also wäre, wenn Christoph Graupner mit Einwilligung seines Dienstherrn, des Landgrafen Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, 1722 als Thomaskantor nach Leipzig gegangen wäre. Graupner, ein ehemaliger Thomasschüler, konnte sich von Seiten der Leipziger so gut wie gewählt fühlen, doch Ernst Ludwig ließ ihn nicht gehen, und Graupner blieb dem Darmstädter Hof für den Rest seines Lebens treu und hat dort eine Menge vorzüglicher Musik hinterlassen. Sie wird in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt verwahrt – ein seltener Fall eines fast vollständig an einem Ort überlieferten Lebenswerks eines Barockkomponisten.
Graupners geistliche Musik hätte wohl deutlich anders geklungen als die der auf dieser CD vereinten Kantaten, hätte er nicht für die Hofgottesdienste seines verständnisvollen und kunstsinnigen Landgrafen komponiert, sondern unter den Argusaugen der konservativen Leipziger Kirchenobrigkeit. Kollege Bach, der den Posten als Thomaskantor bekanntermaßen schließlich bekommen hat, wurde jedenfalls zu Dienstantritt bereits vorgewarnt, seine Musik dürfe nicht „zu opernhafft herauskommen“ – man achtete in der Messestadt an der Pleiße darauf, dass die Andacht und die Aufmerksamkeit für das Wort Gottes nicht durch die Erregung von Gefühlsaufwallungen in der Kirchenmusik beeinträchtigt wurden. Graupners Kantaten hingegen sind stark vom religiösen Gefühl der Barockzeit geprägt, und seine Erfahrungen als Opernkomponist, die er in seinen jungen Jahren bei Reinhard Keiser in Hamburg hat sammeln können, schlagen sich in den Arien dieser Kantaten deutlich nieder. Ein Berührungspunkt zwischen Graupner und Bach ist allerdings die gelegentliche Verwendung von Chorälen; diese traditionelle Einbindung populärer Melodien, die der Gottesdienstbesucher gewissermaßen andächtig mitsingen konnte (was gelegentlich wohl auch geschah), war bei den meisten anderen Kollegen dieser spätbarocke Epoche wenig üblich.
Die Texte dieser Kantaten lieferten der Darmstädter Hofbibliothekar Georg Christian Lehms und nach seinem Tod Johann Conrad Lichtenberg, Vater des berühmten Aphoristikers, Pfarrer und später Superintendent in Darmstadt und Graupners Schwager. Im Unterschied zur barocken, gelegentlich drastischen Bildhaftigkeit der Libretti Bachscher Kantaten sind diese Texte deutlich von aufgeklärter Frömmigkeit bestimmt und erwägen immer wieder persönliche Glaubens- und Geisteshaltungen, die den Gläubigen näher zu Gott bringen sollen.
Die Zusammenarbeit zwischen Klaus Mertens und der israelischen Accademia Daniel unter ihrem Leiter Shalev Ad-El datiert noch aus dem vergangenen Jahrhundert und kann folglich von gut eingespielter Vertrautheit zehren. Zur Freude der Zuhörer: Mertens zeichnet sich unter seinen Kollegen durch stimmliche Schönheit aus, die auch dem Mittsechziger nicht abhanden gekommen ist. Makellos in der Diktion, ausdrucksstark, doch nicht übertrieben im Affekt, mit lupenreiner, niemals in den Vordergrund gerückter Technik bringt er die Atmosphäre dieser fast privaten Andachtsmusik wunderbar zum Ausdruck. Dabei wird er bestens unterstützt durch die Accademia Daniel, die nie in Versuchung gerät, sich mit überzeichneten Akzenten in den Vordergrund zu spielen, sondern die Stimme des Sängers in den warmen Klang Graupners gelegentlich raffinierter Instrumentation bettet.
Detmar Huchting [10.06.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Christoph Graupner | ||
1 | Frohlocke gantzes Rund der Erden GWV 1139/20 (Kantate zum zweiten Pfingsttag) | 00:13:22 |
8 | Ich bin zwar Asch und Koth GWV 1135/13 (Kantate zum Sonntag Rogate) | 00:10:34 |
13 | Ach Herr mich armen Sünder GWV 1152/46 (Kantate zum 11. Sonntag nach Trinitatis) | 00:11:46 |
20 | Kommt, last uns mit Jesu gehen GWV 1119/22 (Kantate zum Sonntag Estomihi) | 00:13:34 |
28 | Angenehmes Waßer Bad GWV 1004/11b (Kantate zum 4. Advent) | 00:13:56 |
33 | Zähle meine Flucht GWV 1154/12b (Kantate zum 13. Sonntag nach Trinitatis) | 00:07:51 |
Interpreten der Einspielung
- Klaus Mertens (Bass)
- Accademia Daniel (Ensemble)
- Shalev Ad-El (Dirigent)