Schubert Klavierwerke Vol. 10

hänssler CLASSIC 98.616
1 CD • 62min • 2009
03.10.2013
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Gegensätzlicher könnten zwei Schubert-Sonaten oder -Fantasien hinsichtlich der Ausarbeitung des Klaviersatzes und mit Blick auf ihren emotionalen Gehalt, auf ihre Gefühls- und Ausdrucksebenen kaum sein: Hier die kraftvolle, hochvirtuose, bisweilen ungestüm aufbrausende Wandererfantasie C-Dur D 760 mit ihren enormen pianistischen und musikalischen Anforderungen (manche sehen in ihr eine vekappte Sonate), durchzogen von rastloser Energie und harmonisch spannungsvollen Verläufen; dort das zum Zerreißen gespannte und mitunter qualvolle Seelendrama der Sonate a-Moll D 784 (für viele eher eine Fantasie als eine Sonate) mit ihrem schlichten Klaviersatz und beinahe sinfonischen Tonfall. Und trotzdem – bei aller Verschiedenartigkeit – gilt für beide das folgende Schumann-Zitat, das zugegebenermaßen in keinem Bezug zu diesen beiden Werken steht, sondern als Würdigung von Schuberts großer C-Dur-Sinfonie bekannt ist: „Hier ist, außer meisterlicher musikalischer Technik der Komposition, noch Leben in allen Fasern, Kolorit bis in die feinste Abstufung, Bedeutung überall, schärfster Ausdruck des Einzelnen, und über das ganze endlich eine Romantik ausgegossen, wie man sie schon anderswoher an Franz Schubert kennt." Ohne mich auf eine Diskussion über das Romantische bei Schubert einlassen zu wollen, möchte ich mich darauf beschränken, es an drei typischen Punkten festzumachen: das Verschmelzen von Lachen und Weinen, das Ineinandergreifen von Traumverlorenem und energischem Überschwang, schließlich eine gewisse Ortlosigkeit und dieses so einmalige, aber kaum in Worte zu fassende Außer-jeglicher-Zeit-sein anstelle von fest umrissenen musikalischen Entwicklungen – alles Merkmale, die der Wandererfantasie wie auch der a-Moll-Sonate eigen sind.
Wie ist es nun um dieses Romantische unter den Händen von Gerhard Oppitz bestellt? Zunächst einmal macht seine Pianistik Staunen, an der es auf den ersten Blick nichts zu bemängeln gibt. Mit Bravour und rhythmischem Biss durchmisst er den wuchtigen Klaviersatz und die virtuose Brillanz, mit einer faszinierenden dynamischen Gestaltung die versonnenen Momente der Wandererfantasie. Nicht zu vergessen der große Atem, mit dem er auch die Reibungen und eruptiven Kontraste, das Elegische sowie die Bitterkeit und das Düstere der a-Moll-Sonate zusammenhält. Dazu kommt eine rundum überzeugende Klangästhetik und ein melodisch fließendes Spiel voller Elastizität und agogischem Feingefühl, welches besonders schön in seiner Wiedergabe der Variation über einen Walzer von Anton Diabelli c-Moll D 718 und der so atmosphärischen 13 Variationen über ein Thema von Anselm Hüttenbrenner a-Moll zu Tage tritt. Und doch: Mir fehlt etwas, was ich als einen gewissen Grad an emotionaler Beteiligung bezeichnen möchte. Gerhard Oppitz scheint es in erster Linie um Klarheit und Transparenz zu gehen; dieses oben genannte Außer-Kraft-setzen jeglichen Zeitgefühls ist kaum ausgeprägt. Seine Lesart der Sonate a-Moll und der Wandererfantasie ist zwar eindringlich und rhetorisch überzeugend, allerdings mit dem Hauptaugenmerk auf dem Belehrenden. Das Erzählende und Bewegende kommt zu kurz; Erregtes findet sich in seiner Interpretation zu genüge, Fiebriges dagegen gar nicht. Vielleicht lässt sich das Schubert-Spiel von Gerhard Oppitz auf Folge 10 seiner Einspielung der Klavierwerke Schuberts am besten als eine weniger inwendige, als vielmehr von außen betrachtende Deutung charakterisieren. Oder als ein zwar Streifen von, nicht aber Eintauchen in die Schubertschen Stimmungsebenen.
Christof Jetzschke [03.10.2013]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Fantasie C-Dur op. 15 D 760 (Wandererfantasie) | 00:21:11 |
5 | Variationen über einen Walzer von Anton Diabelli c-Moll D 718 | 00:02:01 |
7 | Variationen über ein Thema von Anselm Hüttenbrenner a-Moll D 576 | 00:14:40 |
21 | Klaviersonate Nr. 14 a-Moll op. 143 D 784 | 00:23:05 |
Interpreten der Einspielung
- Gerhard Oppitz (Klavier)