Ondine ODE 1192-2
1 CD • 57min • 2011
31.07.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mit dem finnischen Pianisten Henri Sigfridsson ist seit einiger Zeit gewährleistet, dass der etwas reifere, will sagen: der spezieller interessierte Musikfreund den musikalischen Norden des europäischen Musikfestlandes ein wenig näher kennen lernt. Mit den originalen Klaviertranskriptionen von Sibelius-Schlagern wie der Valse triste oder der national-passionierten Finlandia vermochte Sigfridsson bei Hänssler (98.261) ebenso zu überzeugen wie mit den Transkriptionen der Sinfonien Nr. 2 und Nr. 5, von denen die eine von Sigfridsson und die andere von Sigfridsson auf der Basis einer Karl Erkman-Bearbeitung stammt (Ondine 1179-2). Auch das Klavierkonzert von Hakola Kimmo aus dem Jahr 1996 ist dazu angetan das Spektrum auszuweiten (Ondine 1127-2). So mag es allenfalls Hörer weit südlich des Polarkreises überraschen, wenn das Label Ondine mit Sigfridsson als pianistischen Moderator eine Auswahl aus dem Klavierschaffen des finnischen Komponisten Selim Palmgren (1878 - 1951) herausgibt.
Palmgrens Klavierwerke verdienen es, aufgeführt und gehört zu werden! Sie zählen meiner Ansicht nach zum Nachlass jener Autoren, die zu Unrecht – und dies unter den verschiedensten Umständen – sozusagen unter die musikgeschichtlichen Räder gekommen sind. Ich denke da zum Beispiel an Charles Koechlin, Alexander Mossolov, Nikolai Miaskovsky, Nikolai Kapustin, Mieczyslaw Weinberg und wenn man es genau nimmt, bis heute mit vereinzelten Konzert- und CD-Wiedergaben auch Nikolai Medtner. Zum einen litten talentierte, meist komponierende Pianisten an der starken Konkurrenz noch höher Begabter, zuweilen litten sie auch am Unvermögen, sich in der Öffentlichkeit, auf dem Musikmarkt günstig in Stellung zu bringen, oder sie waren gar nicht an größerer Öffentlichkeit interessiert. Was nun die hier eingespielten drei Werkkomplexe anbelangt, handelt es sich – vereinfacht angekündigt und zugleich vor allem den Klavierenthusiasten wärmstens empfohlen – um im Kern durchaus originelle Musik, freilich im grenzüberschreitenden ästhetischen Kraftfeld von sozusagen begleitenden Komponisten. Aber auch von solchen, die zeitlich bereits zu den Vorgängern primär romantischer Zielsetzung einzuordnen sind. Überall, dabei in den pianistisch äußerst attraktiven 24 Präludien op. 17 recht konkret, sind solche Verbindungslinien zu verfolgen. Sie entstanden neben einigen anderen Projekten im Sommer 1907 als Palmgren sich in Italien aufhielt. Unübersehbar und zwangsläufig auch unüberhörbar ist die Parallelität der Aufgabenstellung im Hinblick auf Chopins Sammlung op. 28, ohne Zweifel aber auch die von Chopin ausgehende Inspiration, die in der dramaturgischen Anlage nach dem übergeordneten Prinzip der Kontrastschärfe bestätigt wirkt. Dies zudem in manchen pianistischen Verlaufskurven und ihren jeweils manuellen Übertragungsmustern. Damit aber nicht genug der Rückbeziehungen, denn gelegentlich greift Palmgren Griegs Verfahren der Lyrischen Stücke auf. Und auch behutsame Dosierungen Brahmsscher Anklänge meine ich zu registrieren. Wichtiger aber bleibt Palmgrens offenkundige Vertrautheit mit den 24 Préludes von Debussy und den elf Préludes, die Rachmaninoff in dieser Zeit veröffentlicht hatte. Der Hörer kann das am Beispiel der Nummer 24 (Sota) nachprüfen, denn diese „Krieg"-Rhythmisierung gemahnt unvermeidlich an Rachmaninoffs g-Moll-Prélude op. 23,5! Auch das zwölfte Stück (Das Meer) ist in Nachbarschaft zu Rachmainoff zu erleben, aber durchaus eigen timbriert und mittels Klavier mit eigenem Kurs auf hoher See gesteuert. Diese mit „Allegro feroce" im Temperament unmissverständlich überschriebene Studie gehört zu jenen Gewässer- und Küstenexperimenten, die meiner Meinung nach nicht nur in den Arbeiten von Liszt, Debussy und Ravel zur faszinierenden Verbildlichung musikalischer Prozesse geführt haben, ich denke dabei auch an Smetanas hochvirtuose Etüde Am Seegestade op. 17!
Einige Beispiele aus dem Liszt-, Debussy- und Ravel-Repertoire in Bezug auf das nasse Element seien immerhin genannt: Franziskus-Legende Nr. 2, Au bord d'une source, Les jeux d'eau à la Villa d'Este, Au lac du Wallenstadt /Liszt, La Mer, Poissoins d'or /Debussy, Reflets dans l'eau, Jeux d'eau, Une barque sur l'ocean /Favel)
Im Dezember 1901 spielte Selim Palmgren in Helsinki seine d-Moll-Klaviersonate (op. 11). Sie wird im hilfreichen Begleittext als umfangreichstes Klavierwerk des Komponisten bezeichnet – und dies bei einer Länge von nur rund 15 Minuten! Auch hier geben Komponisten wie Liszt, Grieg und auch Schumann von der Ferne her Laut, markieren ohne sich ganz ans Licht zu drängen Palmgrens schöpferische Wurzeln. Mit dem dreisätzigen, erst im Finale deutlich beschleunigten Stück stellt sich Henri Sigfridsson zu Beginn der CD-Werkfolge als Könner von ganz eigentümlich sinnlich, aber wenn passend auch hintersinnig operierender Solist vor. Makellos sein Spiel in allen gewählten Geschwindigkeiten. Hellhörig charakterisierend in den schnellen Stimmungswechseln der mit Spieldauern zwischen 0'36 und etwa 3 Minuten aphoristischen Vorstellung gehorchenden Präludien.
Der weiter oben schon gelobte Booklet-Text von Kimmo Korhonen liegt leider nur in finnischer und englischer Sprache vor. Ein editorisches Manko, insbesondere wenn man bedenkt, das einstens der echt deutsche Wilhelm Backhaus zu den Protagonisten Palmgrenscher Stücke zählte.
Peter Cossé † [31.07.2012]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Selim Palmgren | ||
1 | Klaviersonate d-Moll op. 11 | 00:14:34 |
4 | May Night op. 27 Nr. 4 (Placido) | 00:02:30 |
5 | 24 Preludes op. 17 | 00:39:09 |
Interpreten der Einspielung
- Henri Sigfridsson (Klavier)