Andrew Manze Brahms - Symphonies

cpo 777 720-2
3 CD/SACD stereo/surround • 3h 31min • 2009, 2010
09.05.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
"Wer die Symphonien von Johannes Brahms in einer neuen Aufnahmen herausbringt, muß sich nicht rechtfertigen. Die reine musikalische Qualität der Werke und die Tatsache, dass sie seit Generationen einen zentralen Platz im Wirken des 1912 gegründeten Symphonieorchesters Helsingborg einnehmen, sagen genug."
Mit einem etwas schrägen Argument verteidigt der Brite Andrew Manze in seinem Einführungstext die Inflation des Klassik-Marktes. Da er sich indessen, wie uns seine biographische Notiz versichert, in jüngster Zeit als einer der "inspiriertesten und anregendsten" Vertreter seiner Zukunft empfohlen hat, wird man sich die Widerworte verkneifen und das einzig Richtige tun: ganz genau hinhören, ob sich die selbstbewußte Versicherung auch erfüllt.
Sein Interpretationsziel komprimiert Manze in die drei Lettern H.I.P. ("historical informed performance"), und es ist nicht zu leugnen, dass er sich über die Historie der Werke informiert hat. Er kennt manche der kryptischen Motiv-Zusammenhänge, durch die sich Brahms mit Clara und Robert S. verbunden hat, läßt die schöpferische Auseinandersetzung des Jüngeren mit Richard Wagner nicht unkommentiert, zeigt ein klares Empfinden für die Sinnlichkeiten und Konstruktionsprinzipien der Partituren – und scheitert am Ende an derselben Klippe, vor der der Hauptmann den unglücklichen Wozzeck warnte: "Er ist ein guter Mensch, aber er denkt zuviel ..."
Das Resultat ist ein Brahms für jene Tage, an denen man auf Fisch und Fleisch verzichtet, sich aber mit gelegentlichen Leckereien tröstet. Es gibt eine große Vielfalt schöner Stellen, die der exquisite, eigenartig tiefe, weiche, kurzum hochkarätige Klang des Helsingborger Orchesters erwärmt, weshalb ich denn auch geneigt bin, das Kürzel HIP mir eher als "hinreißende instrumentale Perfektion" zu deuten. Die einzelnen Segmente der Haydn-Variationen, das Schlaflied aus dem ersten Satz der zweiten Sinfonie, die blühende Oboe im Andante der Dritten oder auch die wuchtigen Kraftfelder, die sich im Kopfsatz der Vierten übereinanderschieben – das sind prächtige Augenblicke. "Sie müssen es unter die Zunge bekommen," ließe sich das Foto auf der Bookletrückseite betiteln, das Manze im intensiven Gespräch mit seinem Cellisten zeigt, und genau das ist der Haken an der Sache: dass die einzelnen Teile, einmal ausgekostet, selten echte Bögen oder Einheiten, sondern nur momentan die Geschmacksknospen reizen. So bieten die exquisiten Variationen Stück für Stück Knabberglück, halten aber als Gesamtkonzeption ebensowenig die architektonische Linie ein wie die sinfonischen Entwürfe, die uns nach den Expositionen durch längere Täler führen, in denen sporadisch verstreute Juwelen einzusammeln sind, bevor die Aufmerksamkeit in den elanvolleren Reprisen wieder erwacht (die letzten Meter der Passacaglia sind einfach grandios).
Ausdrücklich nehme ich von diesem Urteil das liebenswürdig krakelende "Studentenfutter" mit der Opuszahl 80 und vor allem die Tragische Ouvertüre aus, die in knapp vierzehn Minuten ihrem Namen und ihrer Musik alle Ehre macht. Hier bin ich von Anfang bis Ende gebannt, hier verschränken sich interpretatorische Erwägung, Bauprinzip und klanglicher Luxus miteinander zu einem gerundeten, wirklich zufriedenstellenden Resultat. Damit hätte man beginnen sollen ...
Rasmus van Rijn [09.05.2012]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 | 00:45:30 |
5 | Variationen über ein Thema von Joseph Haydn B-Dur op. 56 | 00:18:58 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 | 00:45:08 |
5 | Tragische Ouvertüre d-Moll op. 81 | 00:13:35 |
6 | Akademische Festouvertüre c-Moll op. 80 | 00:10:16 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90 | 00:36:35 |
5 | Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 | 00:40:39 |
Interpreten der Einspielung
- Helsingborg Symphony Orchestra (Orchester)
- Andrew Manze (Dirigent)