Ondine ODE 1188-2
1 CD • 65min • 2011
22.09.2011
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wer welchen Anteil an dem nicht nur überzeugenden, sondern fesselnden Gesamtbild der neuen Ondine-Veröffentlichung mit dem in allen Belangen phänomenalen Bratscher David Aaron Carpenter hat, sei einmal dahingestellt. Fakt ist: Das Treffen des mit dem Leonard Bernstein Award 2011 ausgezeichneten 25-jährigen Amerikaners, Vladimir Ashkenazys, des Helsinki Philharmonic Orchestras und der (Ondine-)Tontechnik bei Berlioz und Paganini ist eine überaus glückliche Fügung. Besonders mit Blick auf Harold en Italie von Hector Berlioz. Dem Meister der Instrumentation und Klangfarbenmischung stehen hier mit Carpenter und Ashkenazy zwei Klangmagier gegenüber, die in Bezug auf das Modellieren und Modulieren des Klangs einen großen Ideenreichtum, eine nie erlahmende Phantasie an den Tag legen, und die zudem dieses Auftragswerk Paganinis als spannende Erzählung ausbreiten. Dabei steht Carpenters Viola gar nicht so prominent im Vordergrund wie in vielen anderen Aufnahmen, sondern ist wunderbar in den Gesamtklang eingebettet. Zugegeben, das ist erst einmal etwas gewöhnungsbedürftig; manch einem mag die Viola vielleicht zu sehr an den Rand gedrängt sein. Aber nach meinem Empfinden entspricht eben dieses Gesamtbild auf nahezu ideale Weise der Atmosphäre und Klanglichkeit dieser Sinfonie mit Solo-Bratsche, zumal es Ashkenazy und Carpenter gelingt, das französische Klangidiom durchgängig zu wahren.
Unsentimental und doch berührend, ebenso sanglich wie tiefsinnig und eloquent lässt Carpenter den Hörer an den Gemütslagen des weltabgewandten Außenseiters, des am Leben zerbrechenden Helden Lord Byrons teilhaben – und an dem unter den Eindrücken eines Italienaufenthalts stehenden Seelenleben des Komponisten selbst. Auch versteht er es vorbildlich, den wichtigen Aufgaben der Bratsche in allen Formteilen des 1. Satzes – nicht nur in der Einführung des Harold-Themas oder in der Beteiligung am 1. und 2. Thema – das jeweils angemessene Gewicht zu verleihen. Der junge Amerikaner spielt übrigens in diesem Satz den ursprünglich deutlich virtuoser gehaltenen und dem Auftraggeber Paganini zugedachten Viola-Part, den Berlioz nach dem Abwenden Paganinis allerdings wieder zusammengestrichen hatte. Glücklicherweise widersteht Carpenter der Versuchung, diese Passagen besonders herauszustellen. Vielmehr bleibt er seiner organischen, aber lustvollen und mit einem fast schon opernhaft-sanglichen Ausdruck versehenen Linie treu. Und Vladimir Ashkenazy? Nicht minder lust-, aber auch effektvoll ist seine Lesart, die rhythmischen und dynamischen Details zwar große Aufmerksamkeit schenkt, aber nie in Kleingliedrigkeit zerfällt, vielmehr weite Spannungskurven zeichnet. Das rhythmisch sehr diszipliniert agierende Helsinki Philharmonic Orchestra gibt sich sehr einfühlsam und wendig. Nicht nur in Harold en Italie, sondern auch in Berlioz'í Ouvertüre zu Béatrice et Bénédict demonstriert es eine bemerkenswerte Mischung aus Vitalität und Wärme, aus Witz und Ernsthaftigkeit und weiß in attackierenden wie verinnerlichten Momenten jederzeit zu überzeugen. Selbst seiner reinen Begleitfunktion in Niccolò Paganinis Sonata per la Gran Viola e Orchestra verleiht es noch das gewisse Etwas.
David Aaron Carpenter ist es, der in Paganinis Sonate und ihrem opulent gestalteten, bisweilen hoch virtuosen Solopart mit seinem souveränen, ebenso innigen wie funkensprühenden und kraftvollen Spiel die Akzente setzt. Seiner meisterhaften Tongebung sowie Bogen- und Grifftechnik, seiner Intonationsreinheit und vollendeten Artikulation (beispielsweise in dem zweistimmigen Gesang des Cantabile Andante sostenuto), überhaupt seinem wirkungsvollen, aber nie Beifall heischenden Vortrag insgesamt gebührt absolute Hochachtung. Und dann wäre da noch die Tontechnik, die mit Detailtreue und einer äußerst präzise abgebildeten Dynamik das faszinierende Gesamtbild dieser Produktion abrundet.
Christof Jetzschke [22.09.2011]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Hector Berlioz | ||
1 | Ouvertüre op. 27 (aus: Béatrice et Bénédict) | 00:07:58 |
2 | Harold en Italie op. 16 (Sinfonie mit konzertierender Viola) | 00:43:19 |
Niccolò Paganini | ||
6 | Sonata per la Gran Viola e Orchestra op. 35 | 00:12:54 |
Interpreten der Einspielung
- David Aaron Carpenter (Viola)
- Helsinki Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Vladimir Ashkenazy (Dirigent)