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Besprechung CD

Svjatoslav Richter Piano Recital 1994

SWRmusic 93.712

1 CD • 78min • 1994

17.06.2011

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Ein bisher unveröffentlichter Live-Mitschnitt von Svjatoslav Richter? Das sollte als Kaufempfehlung reichen, war Richter doch einer der großen Pianisten des letzten Jahrhunderts, der die Enzyklopädie des Klavierspiels durch ein essentielles Kapitel bereichert hat. Man kann nur hoffen, dass diese CD jenseits des überschaubaren Kreises aus Kritikern, Journalisten und Aficionados Beachtung findet, wenn auch die Tatsachen nicht unbedingt dafür sprechen: ein kleines Label, also wenig Werbung, und ein unglücklich gewähltes Coverbild, auf dem der Pianist wie ein pensionierter Butler aussieht. Zur Sache: Richter war damals 79 Jahre alt und im Spätherbst seiner Laufbahn; ungeachtet dessen trat er mit einem schweren Programm auf, dessen Auswahl (Grieg, Franck und Ravel) für ihn eher untypisch war. Mit den einleitenden Lyrischen Stücken von Edvard Grieg hat er im Alter sogar noch Neuland betreten; allerdings vermochte es offenbar selbst ein Svjatoslav Richter nicht, diese Miniaturen glaubwürdig zu erstklassiger Klavierliteratur umzugestalten. Vielleicht funktionieren sie einfach nicht in einem größeren Raum? Im Gedächtnis bleibt jedenfalls einzig die „Waldesstille“ als ruhig wiegendes, durch seine Schlichtheit einnehmendes Tongemälde.

Mit Prélude, Choral und Fuge von César Franck betreten wir das schwierige Terrain der Verbindung von spätromantischem Gestus, spirituellem Bezug und strenger kontrapunktischer Verarbeitung. In dieser Musik stecke ja viel Wagner, behaupten einige, und in der Tat fällt es schwer, sich bei Francks mystischen Beschwörungen nicht an die Legenden um Parsifal und den heiligen Gral zu erinnern. Richter bewegt sich durch dieses gewaltige Werk mit klarer Kante (auch in den wenigen bewußten Abweichungen vom Notentext) und macht mit einer von tiefem Ernst getragenen Interpretation bewußt, dass Leidenschaft und Feuer der Jugend im Alter aufgewogen werden durch eine Stärke, die sich aus Jahrzehnten inneren Wachstums speist.

Diese Kraft prägt ebenfalls Richters Interpretation der beiden Ravel-Werke, und das auf bemerkenswerte Weise, denn dieser Ravel bricht mit unseren Hörgewohnheiten. Bereits die erste Nummer der Valses nobles et sentimentales kommt ungewöhnlich langsam, wuchtig und eindringlich daher, weit weg von der scharfen Brillanz, in der man sie sonst kennt. Auch bei den restlichen sieben Walzern zeigt der alte Richter genau, was für ihn den Wert dieser Musik ausmacht: ein deutliches Herauskerben der linearen Struktur, nur am Tellerrand garniert vom verführerischen Duft der Harmonien des frühen 20. Jahrhunderts (das sordino-Pedal etwa wird kaum benutzt). Damit verändert sich ein impressionistisches Gemälde zum Linolschnitt – beim ersten Hören schüttelt man den Kopf. Wer aber offen ist für neue Eindrücke, dürfte sich rasch überzeugen lassen, denn Richters Hände mögen rauh sein, doch sie sind die Hände eines Meisters. Die Schlüssigkeit seiner Gestaltung erweist sich, wenn die taumelnden Fragmente des letzten Walzers endlich im pianissimo verdämmern dürfen.

Auch die Miroirs klingen bei Richter nicht elegant und poliert, man könnte im Gegenteil fast meinen, dass Ernest Hemingway am Klavier sitzt, die Hemdsärmel aufgekrempelt und gerade erst vom Boot gestiegen: sauber und geschmackvoll, aber ohne alles, was auf eine artistisch brillante Darbietung hinauslaufen könnte. Es kommt also auch hier darauf an, ob man die Botschaft in einer Fassung zu akzeptieren bereit ist, in der die Pixel etwas gröber sind... Als Einstieg empfehle ich Une barque sur l’ocean, dessen wogende Großartigkeit ich noch nie so intensiv empfunden habe. Und in der letzten Nummer La vallée des cloches, in der Richter über etwas nachzusinnen scheint, das endgültig vergangen ist, schwebt Ravels Magie spürbar im Raum. Was für ein Argument gegen den Jugendwahn der heutigen Zeit!

Henri Ducard [17.06.2011]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Edvard Grieg
1Dankbarkeit op. 62 Nr. 2 – Allegro semplice 00:04:45
2Scherzo Nr. 34 e-Moll op. 54 Nr. 5 00:03:32
3Kobold op. 71 Nr. 3 00:01:52
4Waldesstille op. 71 Nr. 4 – Lento 00:05:19
César Franck
5Prélude, Chorale et Fugue h-Moll FWV 21 00:18:59
Maurice Ravel
8Valses nobles et sentimentales 00:15:16
16Miroirs 00:27:29

Interpreten der Einspielung

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