
Ondine ODE 1164-2D
2 CD • 83min • 2009
11.06.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In der langen Tradition der Bach-Bearbeitungen ist Timo Korhonens gitarristische Anverwandlung der Partiten für Solo-Violine BWV 1002, BWV 1004 und BWV 1006 sicherlich ein bemerkenswerter Schritt. Das wird nach kurzer Zeit deutlich, wenn man das Spiel des Finnen hört: Die Gitarre klingt nicht nach Laute, sondern wirklich nach Gitarre, und zwar durchaus nach den modernen, immer etwas gepresst wirkenden Instrumenten; immer wieder werden Akzente auf die melodischen Linien gesetzt, welche die Gitarre als Zupfinstrument zu Gehör bringen, überhaupt wird in den original für Violine gesetzten Werken nicht versucht, das Belcanto des Streichinstruments – oder aber die Vollgriffigkeit der später für diese Stücke nutzbar gemachten Tasteninstrumente – nachzuahmen.
Sinnfällig führt Korhonen selbst denn auch im Begleittext aus, dass er die Gitarre nicht in ein anderes Instrument verwandeln wollte, sondern seine Arrangements so vornahm, als ob Bach damals für das Medium des Zupfinstruments geschrieben hätte. Diese Absicht ist geglückt: Nimmt man etwa andere gitarristische Bach-Taten von Andrés Segovia, John Williams oder Konrad Ragossnig zum Vergleich, fällt auf, wie wenig historisierend, vielmehr aktuell, ja heutig die Gitarre klingt. Wohl absichtlich haben die sehr versierten Tontechniker etwa auch die Spielgeräusche, das Gleiten der Finger auf den Saiten, mit abgebildet. Diese realistisch-gitarristische Übersetzung der Violinwerke bringt aber auch mit sich, dass etwa in der Corrente der Partita Nr. 1 h-Moll die einzelnen Melodietöne zu Arpeggien umgedeutet werden, nicht nur stilisiert wie bei Bach, sondern real; der Kontrapunkt wird Harmonik. Das könnte Bach, dem Anti-Rameau, wohl eher missfallen haben. Vielfach werden sogar kleinere Noten zu fast popular-musikalischen Rutschern zusammengefasst. Gewöhnungsbedürftig ist auch die äußerst freie Agogik; doch die ist auch von vielen „originalen“ Geigen-Einspielungen her bekannt (etwa Milstein oder Kantorow).
All diese Charakteristika lassen sich konzentriert der berühmten Chaconne aus der Partita Nr. 2 d-Moll abhören: Korhonen spielt dieses Stück nicht als die überlebensgroße Variationsform, als welche sie gern gesehen wird, sondern favorisiert Raffungen, wenn er etwa scheinbares Spielmaterial zusammenfasst, nicht als breitzutretende Vorgabe der Matritze erfasst. Freilich muss der Hörer wissen, dass das Stück somit zu einer Simulation einer Improvisation wird, nicht zu einem Werk überzeitlicher Architektonik. Fazit: Die drei Partiten klingen tatsächlich so, als ob Bach sie für die Gitarre verfasst hätte. Aber: Es geht doch auch einiges verloren in diesem Assimilationsprozeß.
Prof. Michael B. Weiß [11.06.2010]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Partita No. 1 minor BWV 1002 for Violin solo | 00:31:10 |
9 | Partita No. 2 d minor BWV 1004 for Violin solo | 00:31:06 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Partita No. 3 E major BWV 1006 for Violin solo | 00:21:07 |
Interpreten der Einspielung
- Timo Korhonen (Gitarre)