Friedrich Gulda Klavierabend 1959
SWRmusic 93.704
1 CD • 75min • 1959
01.10.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Gemessen an den gegenwärtigen Design-Standards kommt diese Platte recht schlicht daher: keine Farben, keine visuellen Reize, nur ein bebrillter Friedrich Gulda im Frack blickt verbindlich-gelangweilt in die Kamera. Die Botschaft scheint zu lauten: kauf es oder laß es bleiben - ein angenehmer optischer Anachronismus, der uns die guten alten Zeiten in Erinnerung ruft, in denen es ausschließlich auf den Inhalt ankam. In diesem Fall: ein bisher unveröffentlichter SWR-Mitschnitt von Guldas Klavierabend bei den Schwetzinger Festspielen 1959. Der Pianist hatte bei diesem Konzert auch keine virtuosen Reißer auf dem Programm - Bachs frühes Capriccio zur Abreise des geliebten Bruders, zwei gewichtige Haydn-Werke und von Beethoven die Sonaten op.14,2 und op. 110. Und dennoch ist diese CD für mich eines der musikalischen Großereignisse des Jahres und verdient es, mindestens so bekannt und gut verkauft zu werden wie die deutlich schmackhafter verpackten Produkte, die uns die finanzstarken Plattenfirmen derzeit mit enormem Werbeaufwand anpreisen. Wer Bach, Haydn und Beethoven hören will, um Bereicherung und innere Stärke zu finden, den wird dieser Klavierabend tief berühren. Wer gerne CDs hört, deren Coverfotos auch in den Set-Cards von Modelagenturen bestens aufgehoben wären, der wird bestimmt schnell woanders fündig werden.
Gulda und Haydn, das ist eine seltene Kombination und ein zusätzlicher Bonus dieser Aufnahme. Mit den pianistisch furchtbar fiseligen f-Moll-Variationen und der späten, prunkvollen Es-Dur-Sonate zeigt uns Gulda ein weiteres Mal, welch tiefen humanistischen Wesenskern die Musik der Wiener Klassik hat, denn auch uns Menschen des 21. Jahrhunderts schenkt sie Erlebnisse, die aus keiner anderen Quelle zu holen sind. Alles fließt sowohl mit der größten Kunstfertigkeit als auch mit der größten Selbstverständlichkeit dahin, und Haydns Ideenreichtum und Witz sprudeln gesund und kernig unter den Fingern des jungen Großmeisters hervor. Genau wie bei Beethoven und Mozart scheint Guldas Geheimnis darin zu liegen, dass er die so schwierige Einheit von technisch perfekter Ausführung, aufs Präziseste artikuliertem Spiel, enormer dynamischer Bandbreite gerade im piano-Bereich, der vollkommenen Beherrschung der kompositorischen Faktur und dem entscheidenden Plus an Phantasie, Spontaneität und Spielfreude scheinbar mühelos erschafft. Wer weiß, vielleicht ruhen noch andere Gulda/Haydn-Schätze in irgendwelchen Rundfunkarchiven? Es wäre eine echte Bereicherung.
Bachs Capriccio, unterteilt in kurze Sätze, ist ein bemerkenswertes Stück und mit seinen programmatischen Untertiteln, gerichtet an den Bruder, für Bach denkbar untypisch. Der erste Satz etwa „ist eine Schmeichelung der Freunde, um denselben von seiner Reise abzuhaltenì, der zweite „ist eine Vorstellung unterschiedlicher Casuum, die ihm in der Fremde könnten vorfallen.ì Leider fehlen diese Angaben im Booklet, was aber den Genuss an Guldas wahrhaft kapriziöser Interpretation nicht schmälern kann. - Und Beethoven? Tja, auf diesem Gebiet nahm der damals 29-jährige bereits die Ausnahmestellung ein, die seine Gesamtaufnahme der Sonaten von 1967 zu einem noch heute gültigen Standard macht. Weitere Worte sind nicht nötig.
Henri Ducard [01.10.2010]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Capriccio über die Abreise des geliebten Bruders B-Dur BWV 992 | 00:09:18 |
Joseph Haydn | ||
7 | Andante con variazioni f-Moll Hob. XVII:6 | 00:14:25 |
8 | Klaviersonate Nr. 52 Es-Dur Hob. XVI:52 | 00:17:00 |
Ludwig van Beethoven | ||
11 | Klaviersonate Nr. 10 G-Dur op. 14 Nr. 2 | 00:13:50 |
14 | Klaviersonate Nr. 31 As-Dur op. 110 | 00:20:04 |
Interpreten der Einspielung
- Friedrich Gulda (Klavier)