Mozart • Bach Adagios & Fugues
CAvi-music 8553162
1 CD • 63min • 2009
14.01.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Was bedeutet „Interpretieren"? Sich die Musik aneignen. Und genau das tun auf dieser CD das Ehepaar Sabine Meyer und Reiner Wehle sowie Sabines Bruder Wolfgang Meyer, die seit 1983 unter dem Ensemblenamen Trio di Clarone firmieren. „Clarone" ist die italienische Bezeichnung für das Bassetthorn (eine Altklarinette in F), von dessen dunkel-geheimnisvollem Klang die drei Klarinettisten nach wie vor fasziniert scheinen, haben sie doch in den vorliegenden Stücken von Johann Sebastian, Carl Philip Emanuel Bach und Mozart, die ursprünglich für eine Streicherbesetzung, Glasharmonika oder Tasteninstrument gedacht waren, Arrangements – in zwei Fällen sogar vom hoch renommierten englischen Gegenwartskomponisten Harrison Birtwistle (Track Nr. 11 und 13) – für ihre (Holzbläser-)Zwecke genutzt. Selbst der konzentrierte Klang von drei Bassetthörnern ist auf der vorliegenden Aufnahme in der Bearbeitung von Mozarts Adagio für Glasharmonika C-Dur KV 617a (Track Nr. 10) und seinem Adagio F-Dur KV 410 (Track Nr. 14) nachhaltig zu erleben.
Den zweiten dramaturgischen Leitfaden – neben dieser (klanglich vereinheitlichenden) Bearbeitungspraxis – bildet Mozarts Auseinandersetzung mit seinem künstlerischen „Ahnherren" Bach. Im Booklettext heißt es dazu: „Das Ensemble wählte Werke aus, die Mozarts Sichtweise auf Bach offenbaren und in denen das neu entdeckte Vorbild seine Spuren hinterließ." Dabei wird auf den biografischen Umstand Bezug genommen, dass Mozart 1782 bei den Sonntagsmatinéen im Wiener Haus des Diplomaten und Musikmäzens Gottfried van Swieten wohl erstmals mit Werken Johann Sebastian Bachs in Berührung gekommen war. Der 26-jährige Komponist spitzte die Ohren und integrierte die Errungenschaft der vergangenen Barock-Epoche, den strengen Kontrapunkt mit Leben zu erfüllen, in den eigenen Stil. Als Hommage an seinen großen Vorgänger entstanden Bearbeitungen von sechs Bachschen Fugen für Streichtrio, denen Mozart selbst geschriebene Adagio-Sätze als Präludien voranstellte. In Bearbeitungen für Klarinette, Bassetthorn und Bassklarinette erklingen hier vier der sechs Satzpaare.
Ein gutes Programmkonzept allein macht das Kraut freilich noch nicht fett. Gerade die Wiedergabe müsste das Vorhaben rechtfertigen, Mozarts tatsächlichen Rang als Vollender des Barockzeitalters herauszustellen. Aber allzu oft verbleibt die virtuos reglementierte Mehrstimmigkeit in rhythmisch-agogischer Hinsicht bloß im Ungefähren – ohne die notwendige Vitalität. Von Nikolaus Harnoncourt, John Eliot Gardiner oder René Jacobs ließe sich da einiges an Exaktheit und – ja – Drive lernen, ohne derart buchstabiert zu klingen. Die etwas trockene Akustik des Velte-Saals der Musikhochschule Karlsruhe (oder ist die Aufnahmetechnik dafür verantwortlich?) tut das Übrige, einen allzu faden Gesamteindruck zu hinterlassen. So ausschließlich ernsthaft und traurig ging's in Barock und Klassik keineswegs zu!
Viele der Tanzsätze in Bachs Französischer Suite Nr. 5 C-Dur (Track Nr. 2-8) hätten ruhig etwas schmissiger sein dürfen. Zwar wurden beispielsweise Sarabande und Bourrée in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereits nicht mehr getanzt, sondern waren nur noch in der Instrumentalmusik präsent, doch kannte der gute Johann Sebastian die passenden – durchaus feurigen – Schritte sehr wohl. Dass sich die Sarabande aus einem andalusischen Fruchtbarkeitstanz entwickelt haben soll, liegt dem Zugriff durch das Trio di Clarone ästhetisch denkbar fern … Sehr schön flüssig und sinnig phrasiert ist dann die abschließende Gigue. Ohnehin sind die Schlusssätze beim Meyerschen Familientrio meist das Beste: wie die wahnwitzige Fuge (Track Nr. 15) am Ende von Mozarts Bearbeitung von J. S. Bachs Contrapunctus VIII (aus: Die Kunst der Fuge BWV 1080). Hier „groovt" es endlich mal in echt barocker Manier.
Die impulsive Air (Track Nr. 19) in der Kompilation von Bachs Französischen Suiten Nr. 2 und 3 empfindet man nach der eher schwerfällig gespielten Sarabande (Track Nr. 18) geradezu als Befreiung. Freilich müsste die nachfolgende Anglaise (Track Nr. 20) noch ein gerüttelt Maß mehr an Spritzigkeit aufweisen, ehe das Menuett (Track Nr. 21) allzu sehr Tanz-der-Vampire-mäßig daherkommt. Wirklich hübsch dagegen die Courante II (Track Nr. 22) am Ende. Einzelne Sätze aus zwei Suiten nach eigenem Gutdünken – was Auswahl und Reihenfolge betrifft – miteinander zu kombinieren, stellt allerdings ein Verfahren dar, das nicht nur bei orthodoxen Musikwissenschaftlern für Stirnrunzeln sorgen dürfte …
Schmerzlich vermisst man die großen Bögen, die Zusammenhänge bei aller Heterogenität. Mit dem „Sich-Aneignen" ist es beim Interpretieren durchaus nicht getan, vielmehr muss jeweils eine innere Kohärenz hergestellt werden (ob dies als bewusster oder instinktiver Akt geschieht, mag für den Hörer einerlei sein). Denn dies macht den eigentlichen, tieferen Sinn von Musizieren aus, den willige Rezipienten durchaus erwarten dürfen. Von daher kann die vorliegende Silberscheibe leider bloß als Enttäuschung bezeichnet werden.
Richard Eckstein [14.01.2010]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
1 | Adagio und Fuge F-Dur KV 404a III für Streichtrio (nach J.S. Bach, Das wohltemperierte Klavier, Teil 2, Nr. 13) | 00:04:15 |
Johann Sebastian Bach | ||
2 | Französische Suite Nr. 5 G-Dur BWV 816 | 00:13:01 |
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
9 | Adagio und Fuge d-Moll KV 404a I (nach J.S. Bach, Das wohltemperierte Klavier, Teil 1, Nr. 8) | 00:06:38 |
10 | Adagio C-Dur KV 617a für Glasharmonika | 00:03:07 |
Johann Sebastian Bach | ||
11 | Wer nur den lieben Gott läßt walten BWV 434 (Choralsatz) | 00:02:33 |
Carl Philipp Emanuel Bach | ||
12 | Duo C-Dur Wq 142 | 00:05:19 |
Johann Sebastian Bach | ||
13 | Jesus, meine Zuversicht BWV 728 (Choralvorspiel) | 00:02:58 |
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
14 | Kanonisches Adagio F-Dur KV 410 | 00:01:24 |
15 | Adagio und Fuge d-Moll KV 404a IV (nach J.S. Bach Orgelsonate Nr. 3 BWV 527 und Contrapunctus VIII aus Die Kunst der Fuge BWV 1080) | 00:06:59 |
Johann Sebastian Bach | ||
16 | French Suite No. 2 c minor BWV 813 | 00:10:48 |
17 | French Suite No. 3 b minor BWV 814 | |
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
23 | Adagio und Fuge f-Moll KV 404a VI (nach W.F. Bach, Fuge Nr. 8 aus 8 fughe per clavicembalo dedicate principessa Amalia di Prussia) | 00:05:26 |
Interpreten der Einspielung
- Trio di Clarone (Ensemble)