cpo 999 971-2
1 CD • 66min • 2007
30.11.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Musik Sibelius‘ hatte gerade die deutsche Musikphilosophie lange Zeit versucht, einen üblen Leumund anzuhängen – die Musik sei letztlich Filmmusik. Dem großen Komponisten – und Modernisten! – Sibelius war hier ohne jedes eigenes Zutun zum Verhängnis geworden, daß er gerade im Stammland der Filmindustrie, den USA, überaus große Popularität genoß und seine Musik im Medium der Filmpartitur paraphrasiert und zitiert wurde. Das musikalische Material, auf welches sich seine Sinfonien in ihrer vollkommen neuartigen Formung ja keineswegs reduzieren, war benutzt worden und somit mit einer Assoziation behaftet.
Der finnische Komponist Aulis Sallinen, einer der wichtigen Vertreter des ja nun wirklich überaus spannungsreichen und international zu Recht überaus präsenten skandinavischen Komponierens, machte 1989/90, während der Komposition seiner 6. Sinfonie op. 65 From a New Zealand Diary, tragischerweise eben jenen Fehler, der Sibelius zu Unrecht angekreidet worden war. Sallinen hat gute Einfälle, etwa gleich zu Beginn der Sinfonie, die mit gleichmäßigen, fast wie Telefonklingeln instrumentierten Unisoni beginnt; danach jedoch erscheinen recht schnell recht naive Ausdruckslyrismen, die nicht wirklich eine motivisch-ideelle Entwicklung vorantreiben, sondern eher für sich genommen interessante, im Verbund betrachtet eher sinnlose Ereignisse versammeln. Diese Ereignisse eben werden fast ausschließlich aus der Musiksprache Sibelius übernommen, nur daß eben dieses Material durch die Einbindung in die Filmmusik mittlerweile obsolet geworden ist. Man höre etwa die Blechchoräle in den Ecksätzen, die sich harmonisch keinen Deut weiter entwickelt haben als die Vergleichsstellen bei Sibelius: Sie fallen weit hinter dem Materialstand von Sibelius‘ Zeit zurück und erinnern mit ihren unvermittelt in den Raum gestellten, schweren, blechbläsergesättigten Dur- oder Moll-Akkorden recht eigentlich eher an die Soundtracks des James-Bond-Komponisten John Barry.
Das Problem Sallinens ist nun nicht so sehr, daß er die Filmmusik als eine Assoziationsebene in die heutige Sinfonik mit aufnimmt, sondern daß er diesem vielleicht anrüchigen, aber gerade deshalb um so reizvolleren Materialbestand nicht durch die Zufügung einer entsprechenden Form begegnet. Bloß erinnernde Assoziationen an schöne sinfonische Momente, ob sie nun Sibelius oder aber der von Sibelius inspirierten Filmmusik abgelauscht sind, ergeben in bloßer Reihung noch keine Struktur. Um noch ein wenig tiefer zu steigen: Auch die nun auf rein materialer Ebene befindlichen Sibelius-Paraphrasen sind zum Teil denn doch eher unbeholfen, speisen sich aus Akkordbrechungen in einer heute doch sehr zu kritisierenden Weise der Naivität – gleich, ob sie nun bewußt oder unbewußt gestaltet ist. Die Episoden von Kindermusik etwa haben nicht jene deutliche Schärfung, Überzeichnung, die sie ästhetisch bräuchten, um als ironisch, grotesk oder dergleichen bestehen zu lassen; stattdessen wirken sie als unbeholfene Humorismen, die so auch in Silly-Symphonies-Cartoons der 30er Jahre gebracht wurden – dort nur eben virtuoser.
Einen besseren Eindruck macht das Cellokonzert op. 44, dessen Solist Jan-Erik Gustafsson eine Form der vorsichtigen Reflexion hören läßt, die in ihrer Abstraktion – gegenüber der zu stark assoziierenden Sinfonie Nr. 6 gehört – geradezu wohltuend wirkt. In beiden Werken tritt das Norrköping Symphony Orchestra als ein überaus sonorer und virtuoser Klangkörper in Erscheinung.
Ästhetisch aber könnte man es so zusammenfassen: Sallinens Versuch, eine Sibelius-Sinfonie mit Mitteln der Filmmusik zu komponieren, ist gescheitert – wenn auch auf höchstem Niveau, und es bleibt zusätzlich als Wert an sich die interessante Anmaßung zurück, eben dies zu versuchen. Es ist nun nur die Frage, ob Sallinen mit diesem Urteil einverstanden wäre.
Prof. Michael B. Weiß [30.11.2009]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Aulis Sallinen | ||
1 | Sinfonie Nr. 6 op. 65 (From a New Zealand Diary) | 00:39:33 |
5 | Konzert op. 44 für Violoncello und Orchester | 00:25:53 |
Interpreten der Einspielung
- Jan-Erik Gustafsson (Violoncello)
- Norrköping Symphony Orchestra (Orchester)
- Ari Rasilainen (Dirigent)