LPO LPO-0034
1 CD • 55min • 1986
01.07.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Dmitri Schostakowitschs zehnte Sinfonie, vielleicht seine klassischste, ist ein Werk ohne explizites „Programm" und dennoch von „politischem" Gehalt. Die Uraufführung am 17. Dezember 1953 in der Leningrader Philharmonie unter Leitung von Jewgenij Mrawinsky war ein großer Erfolg. Doch nach der kurze Zeit später stattfindenden Moskauer Erstaufführung brach eine erbitterte Diskussion um die Zehnte aus. Die Rezensionen spiegelten ganz unterschiedliche Bewertungen dieses Werkes wider: von hymnischer Zustimmung bis zu krasser Ablehnung. Weitaus einflussreicher und folgenschwerer waren indes die Diskussionen bei Tagungen des sowjetischen Komponistenverbandes im Frühjahr 1954: Schostakowitsch wurde vorgeworfen, die Sinfonie sei voll einseitiger Tragik, dunkler Farben und Bilder, außerdem überflüssigerweise pessimistisch. Ein Kritiker sah sogar „tiefe Pseudopsychologie" am Werk, „die den Ausdruck verschiedener Schattierungen des menschlichen Leidens, Entsetzens, der Düsterkeit oder aber grotesker und karikaturistischer Bilder anstrebt". Die Kontroverse hielt an, doch schließlich setzte sich – ein Zeichen des kulturellen Tauwetters – in der Sowjetunion die Auffassung durch, die neue Sinfonie sei ein hervorragendes Werk und von entscheidendem Einfluss auf die Entwicklung der sowjetischen Sinfonik. In der westlichen Welt gab es für Schostakowitschs Zehnte schon 1954 größte Anerkennung. In London war sie unter Leitung von Adrian Boult zu hören, Dimitri Mitropoulos dirigierte die amerikanische Erstaufführung und Ersteinspielung, seine Kollegen Leopold Stokowski und Eugen Ormandy nahmen das Werk rasch in ihr Repertoire auf.
Bernard Haitink ist einer der bedeutendsten Interpreten der Sinfonien von Schostakowitsch. Vielleicht spielen für diese Kompetenz auch seine Erfahrungen mit den Sinfonien des von Schostakowitsch so geschätzten Gustav Mahler eine Rolle. Beide Komponisten haben Gemeinsamkeiten: Sie nehmen bewusst Triviales, Alltägliches in ihre Werke auf, beschwören Katastrophen menschlichen Daseins, eröffnen Abgründe, und sie schreiben Sinfonien nach Art eines Romans. Dass man Schostakowitsch dabei möglicherweise Dinge übelnimmt, die man bei Mahler längst akzeptiert hat, mag damit zusammenhängen, dass der Russe Schostakowitsch „nicht charmiert", so jedenfalls äußerte sich Haitink einmal in einem Gespräch mit dem Verfasser.
Haitinks Gesamtaufnahme von Schostakowitschs Sinfonien mit dem London Philharmonic Orchestra und dem Concertgebouw Orkest (Decca) zählt zu den besten, die es derzeit auf dem Markt gibt. Auch die Zehnte von Schostakowitsch ist bei Haitink in besten Händen. Seine Lesart des Werkes ist frei von falscher Nervosität und auftrumpfender Gestik. Große Kontraste werden nicht eingeebnet, sondern durchaus ausgespielt. Haitink nimmt den Sinfoniker Schostakowitsch ernst und beweist immer wieder seine Fähigkeit zu spannender und dabei geschickter Inszenierung. Dabei geht es auch sehr temperamentvoll zu (Sätze 2 und 4). Exemplarisch ist schon, wie der Beginn entwickelt wird: ruhig, streng, sehr langsam steigernd, mit dem großen Atem, den besonders dieser Kopfsatz erfordert. Das an zweiter Stelle stehende Allegro, ein wildes, sarkastisches Scherzo von nur vier Minuten Dauer, in dem Schostakowitsch wohl den Diktator Josef Stalin porträtierte, ist eben nicht nur ein raffiniertes Perpetuum mobile, sondern hat zugleich mit seinen diabolischen und spukhaften Zügen den Charakter eines "schwarzen Marschs".
Obwohl interpretatorisch sehr gut, kann dieser Mitschnitt der BBC von 1982 mit der Studioproduktion nicht mithalten. Da empfiehlt es sich, gleich zum „Original" zu greifen. Hier ist der Klang präsenter, direkter, heller und brillanter. Die Aufnahme hat mehr Atmosphäre und der geheimnisvoll-raunende Ton, mit dem das Werk anhebt, kommt klanglich wesentlich besser zur Geltung.
Peter Heissler [01.07.2009]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Dimitri Schostakowitsch | ||
1 | Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93 | 00:55:00 |
Interpreten der Einspielung
- London Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Bernard Haitink (Dirigent)