Challenge Classics CC72316
2 CD/SACD stereo/surround • 1h 42min • 2008
25.05.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Wie auch immer man diesen Gipfelpunkt Bachscher Vokalmusik begreifen mag, ob aufgrund seiner musikalisch-dramaturgischen Gegebenheiten als wohldurchdachtes Ganzes, oder, eingedenk seiner Entstehungsgeschichte, als faszinierend montiertes „Flickwerk“ – die Ausgewogenheit, Geschlossenheit, Größe und Tiefe der Messe h-Moll bleibt unfassbar. Und welcher Glaubensrichtung in Sachen Aufführungspraxis man sich auch anschließen mag – einer auf Joshua Rifkin sich berufenden solistischen Ausführung oder einer chorischen: Der Ausflug des Protestanten Bach in die katholische Kirchenmusik kann durchaus als ein Akt der musikalischen Ökumene verstanden werden. Daran sollten sich ebenso die unterschiedlichen Aufführungspraktiken orientieren. Ausgleichend und versöhnend, dabei stets die Strenge und strukturelle Klarheit, sowohl die grandiose „Großarchitektur“ als auch die verschiedenen Stilmerkmale und Satztechniken der einzelnen Sätze im Auge behaltend: So ließe sich vielleicht die Herangehensweise Sigiswald Kuijkens an diese Messkomposition beschreiben, deren Vielfalt an musikalischen Ausdrucksmitteln von Kuijken und seinem Ensemble La Petite Bande in sorgfältiger Detailarbeit und in einer Art wohldurchdachter, expressiver, aber nie überzeichnender Klangrede ans Licht befördert wird.
Chor und Orchester sind solistisch besetzt. Die somit erreichte Transparenz ist jedoch ganz und gar nicht gleichbedeutend mit klanglicher Askese. Kuijken lässt inbrünstig, keineswegs aber weltentrückt, sondern sehr diesseitig im Ausdruck musizieren: federnd, geschmeidig und vor allem volltönend, was selbst die Anhänger einer chorischen Ausführung überzeugen sollte. Tatsächlich stellen sich immer wieder chorische Klangwirkungen ein, nicht nur in den achtstimmigen Sätzen „Osanna in excelsis“ und „Dona nobis pacem“. Ebenso wahrt Kuijken mit Bedacht die aus dem Gegenüber von Soli und Ensembles entstehenden Spannungen. Tempi und gelegentliche dramatische Akzentuierungen sind jederzeit schlüssig. Kuijkens jegliche Schärfen vermeidende Gestaltungskunst ist in erster Linie vom ersten bis zum letzten Ton hoch gespannt wie – selbst in eindringlichen Andachtsmomenten – von einer faszinierenden Elastizität; Vokal- und Instrumentalsätze glänzen und strahlen wie in kaum einer anderen mir bekannten Einspielung (allerdings vermisse ich hin und wieder den „Biss“ der Gardiner-Aufnahme).
Welch exzellente und hervorragend ausbalancierte Sängerriege Kuijken zur Verfügung steht, zeigt sich im flehentlich bittenden „Kyrie“ und dessen überaus sauber artikulierten und phrasierten „e-le-i-son“-Stimmführungen genauso, wie in den jubelnden Koloraturen des „Et in terra pax“ oder „Cum Sancto Spirito“, ganz besonders aber in den bewundernswerten klanglichen Mischungen des schmerzlich wiegenden „Qui tollis peccata mundi“ und der berückend schönen, nahezu schwerelosen Duette, beispielsweise in dem vorzüglichen Konzertieren zwischen der Sopranistin Gerlinde Sämann und dem Tenor Bernhard Hunziker mit der Traversflöte und den Violinen des „Domine Deus“. Für mich der Höhepunkt dieser berührenden Aufnahme: die schmerzvolle, an Intensität kaum zu überbietende Klage des „Crucifixus“ und der glaubwürdig freudige Jubel des anschließenden „Et resurrexit“.
Kurzum: Endlich wieder eine h-Moll-Messe, die uneingeschränkt zu empfehlen ist und sich vor der bahnbrechenden Andrew-Parrott-Aufnahme oder den Gardiner- und Hengelbrock-Einspielungen nicht verstecken muss.
Christof Jetzschke [25.05.2009]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Messe h-Moll BWV 232 für Soli, Chor und Orchester |
Interpreten der Einspielung
- La Petite Bande (Orchester)
- Sigiswald Kuijken (Dirigent)