Ida Haendel spielt Brahms & Mendelssohn
SWRmusic 94.202
1 CD • 67min • 1955, 1953
19.11.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Daß wir es hier mit zwei historischen Aufnahmen zu tun haben, ist vom ersten Moment an unüberhörbar. Ob es allerdings auch historisch bedeutsame Aufnahmen sind, die da am 20. September 1955 (Brahms) bzw. am 10. Januar 1953 (Mendelssohn) mit dem Sinfonie-Orchester des Süddeutschen Rundfunks unter Hans Müller-Kray in der Villa Berg entstanden? Darüber dürften die Ansichten so weit auseinandergehen wie die beiden interpretatorischen Ansätze, die hier aufeinanderprallen. Als Dokument einer großen Geigerin werden wir die Veröffentlichungen sicher gelten lassen können, ganz gleich, wo unsere persönlichen Präferenzen liegen: Ich selbst fühle mich einfach mehr bei Brahms, wenn der idyllische Kopfsatz seines Konzertes zwischendurch nicht auf der Stelle tritt wie ein gelangweilter Sommerfrischler im lauwarm-achseltiefen Wasser des Wörthersees, und mir gefällt es auch besser, wenn am Ende „Motten fliegen, Bogenhaare sausen”, daß es nur seine Art hat.
Demgegenüber kann ich Mendelssohns Opus 64 tatsächlich sehr gut in der hier präsentierten Erscheinungsform goutieren, als jenes genialisch konzipierte, jubilierende, nirgends bloß virtuose, sondern von höchstem Streben durchzogene Stück, das einen trotz seiner kapriziösen Außenfläche mit restloser Konsequenz auf breit ausgestrichener Klimax vor der Stretta hindrängt und eben wirklich zu den ganz großen Erscheinungen des Genres zählt.
Eine Erklärung für diese Diskrepanz erhalte ich bei der Lektüre des Beiheftes, das ich, wie üblich, erst nach dem Hören zur Hand nehme. Und siehe da! Während Ida Haendel ihren Mendelssohn noch frisch von den Saiten weg, mit dem angeborenen Instinkt der großen Geigerin erfaßte, war ihr beim Brahms schon der Lehrmeister beigesprungen, auf den sie so große Stücke hält – Sergiu Celibidache, mit dem sie 1953 eben dieses Werk in London aufgenommen hatte. Nachdem ich mich dergestalt wieder einmal von der Funktionsfähigkeit meines Instinkts und von der Existenz des sagenhaften Phlogistons hatte überzeugen können (was war’s doch, das da entwich?), beschloß ich, statt weiterer Kommentare die Künstlerin selbst mit den Worten zu zitieren, die am Ende des Begleittextes abgedruckt sind: „Ich bin nicht hier, um dem Publikum zu gefallen. Ich bin kein Entertainer. Ich bin hier, um dem Komponisten zu dienen. Ich möchte, daß man zuhört.” Bei Mendelssohn ist ihr das sicher gelungen.
Rasmus van Rijn [19.11.2008]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Konzert D-Dur op. 77 für Violine und Orchester | 00:41:08 |
Felix Mendelssohn Bartholdy | ||
4 | Konzert e-Moll op. 64 für Violine und Orchester | 00:26:06 |
Interpreten der Einspielung
- Ida Haendel (Violine)
- Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Orchester)
- Hans Müller-Kray (Dirigent)