Georg Friedrich Händel 12 Concerti grossi op. 6
BIS 1705/06
2 CD/SACD stereo • 2h 44min • 2007
09.12.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mit seiner üblichen Arbeitsgeschwindigkeit komponierte Händel diese Twelve Grand Concertos innerhalb von etwas mehr als vier Wochen vom 29. September bis zum 30. Oktober 1739. Im Jahr zuvor hatte John Jacob Heidegger, ein geschäftstüchtiger Schweizer, der in London erfolgreich als Impresario wirkte, das gemeinsam mit Händel am King’s Theatre am Haymarket betriebene italienische Opernunternehmen mangels Publikumsinteresses eingestellt. Seit über 20 Jahren hatte Händel in London italienische Opern auf die Bühne gebracht und dabei die Höhen und Tiefen des Geschäfts kennen gelernt, sich allerdings bei den Kennern große Verdienste erworben. Nun war sein Stern als Opernkomponist im Sinken – offensichtlich teilten viele Zeitgenossen die Einschätzung, die Kronprinz Friedrich von Preußen, später Friedrich der Große, 1737 brieflich äußerte, „dass Händels große Zeit vorbei ist, seine Phantasie ist erschöpft, und sein Geschmack hinter der Mode zurück“: Sie bevorzugten wie Friedrich Opern von Händels Konkurrenten wie Hasse oder Porpora. Seinerseits war Händel zwar nicht bereit, kampflos aufzugeben, wie seine bis ins Jahr 1741 fortdauernden Bemühungen um die Oper zeigen, doch wandte er sich jetzt verstärkt einer musikdramatischen Gattung zu, auf die er nach heutigen Maßstäben das Urheberrecht beanspruchen könnte: dem English Oratorio. 1739 wurden die Oratorien Saul und Israel in Egypt uraufgeführt. Das Opernpasticcio Giove in Argo, das im gleichen Jahr auf die Bühne kam und in dem Händel Erfolgsmelodien früherer Werke wieder verwendete, kann als Versuch gewertet werden, als Opernkomponist nicht ganz aus dem Rennen zu geraten. Doch auch außerhalb der dramatischen Genres Oper und Oratorium machte Händel von sich reden: Als ein werbewirksames Argument für die Uraufführung des Saul konnte die Ankündigung gelten, der Komponist werde zwischen den einzelnen Teilen des Werks Orgelkonzerte zu Gehör bringen (aus der wenig später als op. 4 veröffentlichten Sammlung) – der inzwischen 54-Jährige machte noch immer als Virtuose Furore.
Israel in Egypt war beim Publikum ein solcher Misserfolg gewesen, dass man in der Umgebung Händels befürchtete, er werde das Komponieren aus Enttäuschung ganz aufgeben. Indessen ließ er sich nicht entmutigen, zog allerdings für weitere Projekte in das kleinere Theater in Lincolns Fields Inn um. Hier erklang 1740 das allegorische Oratorium L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato, als deren Zwischenaktmusiken Händel Teile aus den im Vorjahr fertig gestellten 12 Concerti grossi aufführte. Concerti grossi nach der Art Arcangelo Corellis waren in London seinerzeit große Mode, Händel hatte die Sammlung zur Veröffentlichung bestimmt, um zusätzlich zu seinem Ruf als bedeutender Komponist von Vokalmusik und gefeierter Virtuose an der Orgel und am Cembalo noch unter Beweis zu stellen, dass ihm auch in der Orchestermusik nördlich der Alpen so schnell keiner das Wasser reichen konnte. Zwei Tage vor der Fertigstellung des letzten Concertos am 30. Oktober 1739 war bei Händels Exklusivverleger John Walsh bereits eine Ausschreibung zur Subskription des Notendrucks der Twelve Grand Concertos erschienen, in der den Subskribenten der Abdruck ihres Namens in einer in das Druckwerk eingerückten Liste in Aussicht gestellt wurde; offensichtlich brachte das Interesse und der Einsatz für die heimische Musikkultur soziales Prestige, zumal die Liste durch prominente Mitglieder des Königshauses angeführt wurde und auch eine europäische Musikelite sich die Gelegenheit nicht hatte entgehen lassen, Händels neuen Notendruck vorzubestellen. Verschiedene andere Aufführungstermine in der durch strengen Frost stark eingeschränkten Wintersaison 1739/40 sorgten dafür, dass zehn der zwölf Concerti alsbald nach ihrem Entstehen öffentlich aufgeführt wurden. Die Twelve Grand Concertos waren ein großer Erfolg, bereits 1741 wurde eine Neuauflage erforderlich – jetzt erhielten die Werke die Opuszahl 6, unter der sie bis heute bekannt sind.
Martin Gester und das Ensemble L’Arte dei Suonatori treffen mit ihrer Einspielung dieses Meisterwerks der barocken Orchestermusik auf eine kompetente Konkurrenz, deren große Namen Feiglingen leicht das Herz in die Hose treiben könnten; Martin Gester und seine Equipe lassen sich indessen nicht bange machen und legen ihre erfrischende Version des Opus 6 vor. Zwei ihrer Mitbewerber um die Gunst des Schallplattenpublikums seien namentlich genannt: Christopher Hogwood mit der Handel and Haydn Society (Dec 436845-2) verbreitet Noblesse, Würde und Eleganz; Andrew Manze vereint mit der Academy of Ancient Music (HMU 907228-9) technische Perfektion mit Poesie und Grandeur. Da kann Gester nicht mithalten, zumal seine Einspielung einen Haken hat: Das Continuo (das eigentlich wie bei Hogwood und Manze ordnend und inspirierend aus dem Hintergrund wirken sollte) schiebt sich gelegentlich vorlaut in den Vordergrund, zuweilen hört man sogar vor dem Takt schon einen Lautenakkord und fühlt sich unangenehm an das Märchen vom Hasen und Igel erinnert („Ich bin schon da“). Die brillante Technik der Super-Audio-CD beschert der hier zu besprechenden Aufnahme allerdings einen klanglichen Vorsprung vor den anderen Einspielungen, die freilich zu ihrer Zeit im obersten Segment der Klangqualität lagen und somit heute immer noch auch hier sehr gute Alternativen darstellen.
Detmar Huchting [09.12.2008]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Georg Friedrich Händel | ||
1 | Concerto grosso G-Dur op. 6 Nr. 1 HWV 319 | 00:11:15 |
6 | Concerto grosso F major op. 6 No. 2 HWV 320 | 00:11:49 |
10 | Concerto grosso e-Moll op. 6 Nr. 3 HWV 321 | 00:11:36 |
15 | Concerto grosso a-Moll op. 6 Nr. 4 HWV 322 | 00:11:28 |
19 | Concerto grosso D-Dur op. 6 Nr. 5 HWV 323 | 00:14:50 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Concerto grosso g-Moll op. 6 Nr. 6 HWV 324 (Feuerwerksmusik) | 00:15:16 |
6 | Concerto grosso B-Dur op. 6 Nr. 7 HWV 325 | 00:13:36 |
11 | Concerto grosso c-Moll op. 6 Nr. 8 HWV 326 | 00:15:05 |
17 | Concerto grosso F-Dur op. 6 Nr. 9 HWV 327 | 00:12:38 |
23 | Concerto grosso d-Moll op. 6 Nr. 10 HWV 328 | 00:13:54 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Concerto grosso A-Dur op. 6 Nr. 11 HWV 329 | 00:16:29 |
5 | Concerto grosso h-Moll op. 6 Nr. 12 HWV 330 | 00:11:39 |
Interpreten der Einspielung
- Arte dei Suonatori (Orchester)
- Martin Gester (Dirigent)