Tower Sonatas

Hungaroton HCD 32451
1 CD • 68min • 2007
31.01.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Kaum überschaubar ist die Fülle der CD-Angebote mit „Turmmusiken“. Namentlich im Barockzeitalter hat dieses Genre eine Hochblüte erlebt und fand daher einen Lieblingsplatz in den einschlägigen Bläser-, Weihnachts- und Posaunenchor-Programmen. Die historische Heimat solcher Werke sind bürgerliche Festivitäten in wohlhabenden Städten und Gemeinden mit ihren Stadtpfeifereien, die ein künstlerisches Gegengewicht zu den Aktivitäten oft benachbarter Hof- und Schloßkapellen schaffen wollten. Unter den vielen Komponisten, die ein entsprechendes Repertoire geschaffen haben, ragen zwei Namen hervor: Johann Christoph Pezel (1639-1694) und Gottfried Reiche (1667-1734). Beide wirkten in Leipzig, letzterer gar als legendärer Solist der anspruchsvollen Trompetenpartien in den Werken Bachs.
Beide haben mit repräsentativen Werksammlungen ihrem Schaffen und ihrer Zunft als „Kunstgeiger“ und „Stadtpfeifer-Meister“ unvergängliche Denkmale gesetzt: Pezel mit 40 einsätzigen Sonaten Hora decima musicorum Lipsiensium (1670) und der Tanzsammlung Fünff-stimmigte blasende Music (1685), Reiche mit der einzigen von ihm überlieferten Sammlung Vierundzwanzig neue Quatricinien (1696). Einzelne Sätze daraus, namentlich von Pezel, begegnen seit eh und je in zahlreichen Barockaufnahmen. Keinen der genannten Werkzyklen konnte man bisher jedoch in seiner Gesamtheit hören und beurteilen.
Hier nun hat das für seine bisherigen Leistungen weltweit mit Auszeichnungen versehene Budapester Solistenensemble des Ewald-Blechbläserquintettes den entscheidenden ersten Schritt gewagt – und gewonnen! Erstmals erklingt Gottfried Reiches Werkunikat mit allen seinen Facetten in einer für moderne Ohren erfolgreich adaptierten Fassung mit modernem Instrumentarium (zwei Trompeten, Posaune und Tuba): barocke „Gemütsergötzung“ in Vollendung. Erstaunliches tritt zutage. Reiche reiht nicht nur Sonatinen und Fugen als routinemäßiges Spiel- und Aufführungsmaterial aneinander, sondern jede der 24 „Quatricinien“ entfaltet seinen individuellen Charakter innerhalb einer ideen- und abwechslungsreichen Gesamtfolge. Die einsätzigen Sonatinen entpuppen sich als mehrteilige Miniaturen voller rhythmischer und thematischer Kontraste, teils tänzerisch, teils gravitätisch-feierlich, teils fugiert. Die Fugen dagegen sind in ähnlich variabler Form von dem damals modischen Suitenstil beeinflußt.
Alle Miniaturen, deren Spieldauern zwischen 60 Sekunden und 3 Minuten schwanken, erweisen sich als ein kompositorisch köstlich bewältigtes Ohrenkonfekt. Spürbar bereitet es den Interpreten und damit auch den aufmerksamen Zuhörern ein ästhetisches Vergnügen. Vergleichbares gilt für die Einspielung der ersten 26 Sätze aus Pezels Sammelwerk mit seinen insgesamt 76 Beiträgen, nun fünfstimmig mit ergänzendem Hornpart (original für Posaune). Wenn vorerst auch dessen Vollständigkeit am Fassungsvermögen einer CD gescheitert ist, so sollten sich die Budapester Blechbläser durch den vorliegenden Erfolg alsbald zu einer Komplettierung dieser barocken Raritäten und Kuriositäten animiert fühlen. Es gilt eine lohnende Repertoirelücke zu füllen.
Dr. Gerhard Pätzig [31.01.2008]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johann Pezel | ||
1 | Fünfstimmige blasende Musik | |
Gottfried Reiche | ||
17 | 24 neue Quatricinien |
Interpreten der Einspielung
- Ewald Brass Quintet (Blechbläserensemble)