Arnold Schönberg
Gurrelieder
SWRmusic 93.198
2 CD/SACD • 2h 02min • 2006
26.10.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Ich habe immer gemeint – und meine noch immer–, Funktion von Kunst und Musik sei es, den Menschen die Konflikte ihrer Zeit und ihres Inneren paradigmatisch vorzuführen – und nur das sei die Wahrheit der Kunst.” Mit diesen Worten zitiert Rainer Peters zu Beginn seines vorzüglichen Einführungstextes den Dirigenten der vorliegenden Aufnahme, der im nächsten Atemzug Arnold Schönberg zu einem der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts erklärt, weil ihm obiges „in so überwältigender Weise” gelungen sei.
Wäre das erste richtig, dann müßten wir konsequenterweise in den täglichen Fernsehnachrichten die höchste Kunstform sehen, und stimmte das zweite, so erreichte der Materialismus, der durch den ewig unzufriedenen Nörgler Schönberg in die Musik Einzug gehalten hat, das höchste aller kompositorischen Gefühle.
Doch das Zitat geht erfreulicherweise weiter: „In meinem Alter erkenne ich, daß noch etwas dazukommt, was nicht weniger wichtig ist: Daß Musik uns vor allem die utopischen, die ersehnten Momente zeigt.” Und weil das so ist, gibt es diese vorliegende, geschickt aus mehreren Konzertaufführungen montierte Aufnahme der Gurrelieder – eine Interpretation, wie ich, wenn meine Erinnerung mich nicht im ganz im Stich läßt, noch keine gehört habe. Das zweistündige Riesengebilde zieht derart organisch und bis in die kleinsten Winkel ausgeleuchtet an uns vorbei, daß die enorme Spieldauer nicht mehr empfunden wird: Während wir mit immer neuer Verblüffung scheinbar längst bekannten Motivzusammenhängen nachkosten, die immer genau im perfekten Augenblick aufzutauchen scheinen; während die geradezu hinreißende Orchesterleistung uns eine dreidimensionale Palette ergreifendster Schönheiten beschert, werden wir immer überrascht bemerken, daß der große Analysator Michael Gielen nicht nur klingende Erläuterungen dirigiert, sondern daß er das zur großen Freude derer, die lieber Utopien als armselige Realitäten hören möchten, auch noch ohne jeden erhobenen Zeigefinger tut.
Bei dieser gewaltigen Leistung fallen gewisse solistische Mängel so wenig ins Gewicht, daß sie nicht einzelen aufgespießt werden sollten: Tove ist keine Kundry, und Waldemar sollte über seinen lichten Höhen nicht die Tiefen vergessen, die Schönberg sehr freigiebig verteilt hat. Das soll jedoch nicht vom Gesamt- und Detaileindruck der Veröffentlichung ablenken, die in fesselnder Weise eines der überzüchtetsten Herzgewächse des Jugendstils in all seinem schillernden Locken durchschaut und gleichzeitig ein herrliches Bukett wurde, wie’s sich der Jubilar Michael Gielen zu seinem 80. Geburtstag letztlich doch nur selbst zusammenstecken konnte.
10, 9, 10
Rasmus van Rijn
Rasmus van Rijn [26.10.2007]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Arnold Schönberg | ||
1 | Gurre-Lieder (Oratorium für Soli, Chor und Orchester auf Gedichte von Jens Peter Jacobsen) |
Interpreten der Einspielung
- Melanie Diener (Sopran)
- Yvonne Naef (Mezzosopran)
- Gerhard Siegel (Tenor)
- Robert Dean Smith (Tenor)
- Ralf Lukas (Bass)
- Andreas Schmidt (Sprecher)
- Chor des Bayerischen Rundfunks (Chor)
- MDR Rundfunkchor (Chor)
- SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (Orchester)
- Michael Gielen (Dirigent)