CPE Bach Hamburgische Festmusiken
cpo 777 108-2
1 CD • 73min • 2004
05.05.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
1767 wurde Carl Philipp Emmanuel Bach in der Nachfolge seines Paten Georg Philipp Telemann Hamburger Musikdirektor und Kantor am Johanneum, der noch heute bestehenden Gelehrtenschule der Hansestadt. Er bekleidete damit in der norddeutschen Metropole dasselbe Amt, das sein Vater eine Generation zuvor fast dreißig Jahre lang in der Handel- und Messestadt Leipzig versehen hatte. Immerhin trat Philipp Emmanuel seinen Dienst im für damalige Zeiten hohen Alter von 52 Jahren und als geachteter Komponist an, der vorher in den Diensten des Preußenkönigs Friedrich II. gestanden hatte, der schon zu Lebzeiten „der Große“ genannt wurde. Konflikte mit der geistlichen und weltlichen Obrigkeit, wie sie dem Vater in Leipzig den Dienst versauert hatten, sind beim Sohn im weltoffenen Hamburg nicht überliefert, freilich scheinen sich auch die Zeiten seit den Kämpfen des Vaters Bach mit einer „der Musik wenig ergebenen Obrigkeit“ wenigstens für die Musikpflege grundlegend geändert zu haben. Auch die Formen der Auseinandersetzung waren offener geworden, wie die öffentlich ausgetragenen polemischen Auseinandersetzungen zwischen Lessing und dem Hauptpastor Goeze in den 70er Jahren bezeugen.
Carl Philipp Emmanuel Bach indes wirkte friedlich und geachtet in den Mauern der Freien und Hansestadt, und die auf dieser CD vorgestellte Musik zeigt etwas von diesem republikanischen Idyll, das nach englischem Vorbild auf einem gut ausbalancierten Gleichgewicht der Kräfte beruht zu haben scheint. Davon kündet noch heute der lateinische Spruch über dem Eingang des im Stil der Neorenaissance erbauten Rathauses: „Die Freiheit, die die Alten errungen haben, mögen die Nachkommen würdig zu erhalten bestrebt sein.“ Das ist bis heute weltanschauliches Rückgrat an der Elbe.
Die Einführung eines neuen Pastors in sein Amt an einer der vier Hauptkirchen der Stadt war natürlich eine öffentliche Angelegenheit von erster Priorität. Entsprechend festlich hatte die Musik zu sein, und Philipp Emmanuel Bach enttäuschte seine Zuhörer nicht: Repräsentative Klänge und andächtige Momente finden sich in diesen Kompositionen so friedlich Seit an Seite, wie die Offenbarung des Johannes prophezeit, dass der Löwe neben dem Lamm liegen werde. Künstlerisches Understatement, das dem temperamentvollen Johann Sebastian in Leipzig stets zuwider war, fiel dem Hamburger Sohn offensichtlich nicht schwer. Wohl auch, weil er es bei seinen Vorgesetzten nicht mit dogmatischen Hardlinern zu tun gehabt hat wie der Vater in der sächsischen Metropole.
Edelsteine entstehen unter hohem Druck – mag es daran liegen, dass uns heutzutage die geistlichen Kompositionen des Vaters Bach so viel mehr zu sagen haben als die Schöpfungen Carl Philipp Emmanuels, des einzigen Bach-Sohns, der ein nennenswertes Œuvre geistlicher Musik hinterlassen hat? Das blasse Profil der religiösen Äußerungen der Zeit der Aufklärung und die schier unüberwindbare Kluft zwischen romantischer Religionsschwärmerei und intellektueller Religionskritik im 19. Jahrhundert (nur Brahms hat sie in der deutschen Musik mit seinem „Deutschen Requiem“ zu überwinden vermocht) machen es heutigen Zuhörern besonders schwer, protestantischer Kirchenmusik aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu lauschen. Gar zu entfernt scheint das distanzierte Lebensgefühl dieser Zeit und ihr selbstverständlicher Gehorsam gegen die alten Rechte der Religion den heutigen Gepflogenheiten zu sein, wo der Glaube völlig zur Privatangelegenheit geworden ist und demzufolge für den Einzelnen lebensbestimmend oder inexistent, gesellschaftlich aber der Beliebigkeit anheim gegeben ist.
Als geistliche Musik vermögen diese „Einführungsmusiken für Hamburger Pastoren und Prediger“ heute sicher weniger zu überzeugen als zum Zeitpunkt ihrer Entstehung. Betrachtet man die Kompositionen indes als „absolute Musik“ (und Carl Philipp Emmanuel Bach hat viel geleistet für die Emanzipation der Musik von ihren außermusikalischen Prätexten!), wird man diese Werke freudig als Meilensteine auf dem Weg zu einer emanzipierten Tonkunst genießen können, die sich von den ärmlichen Textvorlagen, die eine Mischung aus republikanischer Hofpoesie und frömmlerischer Verseschmiederei darstellen, ganz und gar befreit hat.
Detmar Huchting [05.05.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Carl Philipp Emanuel Bach | ||
1 | Leite mich nach deinem Willen H 835 Wq 227 (1783) | |
2 | Einführung für Pastor Joh. Jacob Schäffer an St. Nikolai H 821m Wq 253 (1785) | |
3 | Mein Heiland, meine Zuversicht H 830 Wq 221 (1771) | |
4 | Einführung für Pastor Joh. Christoph Friderici an St. Petri H 821g Wq 251 (1775) | |
5 | Amen! Lob und Preis und Stärke H 834 Wq 226 (1783) |
Interpreten der Einspielung
- Himlische Cantorey (Gesangsensemble)
- Les Amis de Philippe (Ensemble)
- Ludger Rémy (Leitung)