Pentatone classics PTC 5186 051
1 SACD • 68min • 2004
10.01.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Auf dem Cover sieht der Mittvierziger Yakov Kreizberg fast aus wie Celibidache im gleichen Alter. Wer sich jedoch von dem von der Kritik überwiegend gefeierten Dirigenten – übrigens Bruder des Dirigenten Semyon Bychkov – eine neue Sicht der siebten Sinfonie Bruckners erwartet, wird enttäuscht sein. Das Stück klingt hier wie der perfekte Klon von gerühmten Aufnahmen gefeierter Bruckner-Dirigenten, mit denen Kreizberg in seiner Teenagerzeit, spätestens nach seiner Emigration nach Amerika 1976 aufgewachsen sein dürfte – Karajan, Haitink und Jochum. Wer also einen Bruckner mag, der in den üblichen breiten Tempi daher kommt, bei dem Ergebnisse historisch informierter Aufführungspraxis im Allgemeinen und bei Bruckner im besonderen weitgehend ignoriert werden und der praktisch “wie immer” klingt – mitsamt des umstrittenen, von Bruckner im Adagio-Höhepunkt nachträglich hinzugefügten “Tschingderassabumm” mit Pauken, Becken und Triangel –, wird nicht enttäuscht sein.
Die Wiener Sinfoniker hatten hier eine Sternstunde des Musizierens. Zusammenspiel und Balance sind insgesamt vorzüglich; besonders lobend seien die Trompeten und Posaunen hevorgehoben, die sich höchst erfreulich mit ihren Dezibels zurückhalten und den weichen, gold-runden Gesamtklang entscheidend prägen. Nur die Hörner tragen mitunter zu massiv auf. Die Interpretation selbst ist im Rahmen der gewählten Parameter in sich schlüssig (äußerst getragenes Grundtempo des ersten und zweiten Satzes nach herkömmlichem Gusto mit Allegro in Vierteln und Adagio in Achteln, flexible Übergänge zwischen den Satzteilen und agogische Nuancen, die bis auf die bearbeitenden Erstdrucke zurückgehen). An sich ist also an Kreizbergs Musizierlust und Musizierkunst – die erfreulicherweise auch ein geschmackvolles Portamento der Violinen nicht verschmäht – wenig auszusetzen.
Wer jedoch eine Klangdisposition bevorzugt, bei der vor allem die Mittelstimmen räumlich durchhörbar und prägend sind, und wer den im 19. Jahrhundert ausnahmslos üblichen Dialog der räumlich getrennten Geigengruppen schätzt, wird angesichts dieser außenstimmenbetonten Produktion einmal mehr bitterlich enttäuscht sein: Den Schwerewirkungen Brucknerscher Taktperioden mit ihrem Pendeln zwischen schweren und leichten Takten wird durch “unendliche Melodie” Gewalt angetan; die Sprachlichkeit der Thematik, die auch in diesem insgesamt eher lyrischen Werk durchaus zum Tragen kommen sollte, wird durch abgemilderte Akzente, allzu gesangliche Bogenführung der Streicher mit verwaschenen Legato-Bögen und unendlich viel süßliches Vibrato negiert. So wird die “Karajan-Ästhetik” fortgeschrieben – auch hinsichtlich der Aufnahmetechnik und ihrer Jagd nach dem immer noch weiter perfektionierten Klang. Der monochrome Orchesterklang wirkt ungeachtet der beeindruckenden dynamischen Breite dieser Aufnahme rasch ermüdend; es gibt keine Ecken und Kanten, an denen der Hörer “hängenbleibt”. Holzbläser und insbesondere die Mittelstimmen sind überdies räumlich kaum zu verorten, das Ganze klingt wie ein Hollywoodfilm auf einer Leinwand, die den Hörer halbrund umschließt und dadurch in der Mitte am meisten an räumlicher Tiefe verliert.
Auch der Beiheft-Text läßt stilistisch und inhaltlich die Ausddrucksweise von Bruckner-Exegeten der Siebziger Jahren nicht hinter sich. Ungewollt enthüllt der Autor auch das Grundmanko dieser Aufführungs- und Aufzeichnungs-Ästhetik, wenn er meint: “Die weit schwingenden, kantablen Melodiezüge und die homogene Klanglichkeit führen zu einer für den Hörer leichteren Rezipierbarkeit.” Schöne Melodien und homogene Klangmassen sollen also dem Hörer helfen, komplexe Musik aufzufassen? So wird das Publikum in seinen Hörgewohnheiten verzogen und verlernt immer mehr, differenziert zu hören.
Dr. Benjamin G. Cohrs [10.01.2006]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Symphony No. 7 E major WAB 107 |
Interpreten der Einspielung
- Wiener Symphoniker (Orchester)
- Yakov Kreizberg (Dirigent)