Ludwig van Beethoven Sämtliche Klaviersonaten Vol. 1
hänssler CLASSIC 98.201
1 CD • 74min • 2004
19.12.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Diese Interpretation macht mich ratlos. Auch nach wiederholtem Hören will es mir nicht gelingen, eine Linie oder ein schlüssiges Konzept darin zu entdecken – was eigentlich verhältnismäßig leicht sein sollte, da wir es nicht mit einem Recital aus verschiedenen Schaffensepochen, sondern mit vier Werken aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu tun haben. Und eben deshalb tritt Widersprüchliches so deutlich ans Licht. Bezeichnend sind zunächst einmal die langsamen Sätze des Opus 10, in denen Beethoven seinem großen Vorbild Carl Philipp Emanuel Bach so überaus nahe ist: Ganz offenkundig will der Interpret hier Klangreden führen, die große Rhetorik der Musik in den Vordergrund stellen. Darin fehlt dann aber die letzte Intensität des Tons, die plastische Geste des Rezitativs, der innige „Gesang” – nein, besser: Ich spüre, daß genau all das gemeint ist, daß Oppitz sich aber aus unerfindlichen Gründen zurückhält, als sei er unsicher, ob er diesen letzten Schritt tun oder lassen solle.
Eine ähnliche Unschlüssigkeit herrscht im Allegro molto der ersten c-Moll-Sonate: Ist es Virtuosenmusik oder mehr Ausdruck der Empfindung als Raserei? Er prescht herzhaft los, macht auch – wie Mozart gesagt hätte – recht viel „getös und lerm”, dehnt dann aber das dynamische Spektrum doch nicht so rigoros, wie es dem rhythmischen Ansturm entspräche. Dort, wo es transparenter wird – in den Kopfsätzen der nächsten beiden Sonaten – erweist sich Oppitz hingegen als feinsinniger Gestalter. Auf einmal entstehen schöne, singende Bögen, organisches Wachstum, kokett verspielte Nachsätzchen (bezaubernd geradezu in der F-Dur-Sonate), einleuchtende Durchführungsarbeiten, und wieder bin ich ratlos: Wenn das alles geht, warum geht es dann nicht konsequenter, warum wird das klangliche und emotionale Spektrum nicht wirklich bis zur Neige ausgekostet? Und warum sind die Finales durchwegs um so vieles plausibler geraten, schnurrig, frech und „angenehm in die ohren”?
Bei Fortsetzung der Reihe wäre dem Interpreten dringend anzuraten, die eigenen Absichten weniger unter den Scheffel zu stellen; das, was ansatzweise aufscheint, wirklich zu riskieren; und sich nicht bis zur Selbstaufgabe daran zu orientieren, was „man” darüber denken könnte. Dabei kommen dann im schlimmsten Fall solche anständig musizierten Dinge heraus wie die hier vorliegende Pathétique. Exhibitionistischer Subjektivismus ist gewiß nicht die Lösung; die Rücknahme des Musizierenden bis zur Selbstaufgabe aber kann es auch nicht sein.
Rasmus van Rijn [19.12.2005]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Klaviersonate Nr. 5 c-Moll op. 10 Nr. 1 | |
2 | Klaviersonate Nr. 6 F-Dur op. 10 Nr. 2 | |
3 | Klaviersonate Nr. 7 D-Dur op. 10 Nr. 3 | |
4 | Klaviersonate Nr. 8 c-Moll op. 13 (Pathétique) |
Interpreten der Einspielung
- Gerhard Oppitz (Klavier)