Orfeo C 149 003 F
3 CD • 2h 43min • 1999
01.03.2001
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Im landläufigen Sinn gilt Die verkaufte Braut als die tschechische Nationaloper schlechthin, und dies sogar mit gutem Grund. In korrekter Betrachtungsweise stimmt diese Zuordnung freilich nicht, denn die echten Nationalopern sind von der Heiterkeit und Lebensfrische, wie sie aus Smetanas Werk tönt, weit entfernt, ihre Sujets entstammen meistens der nationalen Sagenwelt – fast immer todernste, heroische, bleischwere Erscheinungsbilder, die sich aufgrund ihrer Unförmigkeit nur selten über die nationalen Grenzen transportieren lassen.
Antonín Dvoráks frühes Opernwerk Wanda (in originaler Schreibweise „Vanda“, uraufgeführt 1876) leidet empfindlich sowohl an dieser tragischen Erhabenheit als auch an ihrem körperlichen Schwergewicht. Eine Oper von riesenhafter Ausdehnung (fünf Akte), in jeder Hinsicht mit dem Hang zum Kolossalen ausgestattet, sozusagen eine Aida zum Quadrat. Der Komponist hat in seinem Streben, ein gewaltiges, alles übertreffendes Werk zu erzeugen, seine Kräfte überspannt, er hat seine Partitur mit so vielen pompösen Ensembles und sonstigen Massenszenen gefüllt, daß er damit mindestens drei große Opern hätte versorgen können. Überall in dieser Oper herrscht Erregung, tosendes Pathos. Bei Wanda kommt noch eine Merkwürdigkeit dazu: der Stoff dieser Nationaloper ist gar nicht der böhmischen, sondern der polnischen Sagenwelt entnommen. Die Hauptfigur, die Fürstin Wanda, nimmt den Opfertod auf sich, um ihrem Volk zum Sieg über die deutschen Eroberer zu verhelfen. Die Handlung verläuft schulbuchmäßig, klischeehaft, den Figuren fehlt der Lebensatem. Trotz solcher Einschränkungen sollten sich Opernfreunde die Bekanntschaft mit Wanda nicht entgehen lassen. Auch wenn die Last der Angestrengtheit über diesem Werk liegt, hat man es doch mit einer künstlerischen Schöpfung von hoher Bedeutung zu tun.
Gerd Albrecht hat sich des Opernkolosses angenommen, hat gemeinsam mit Alan Houtchens die im Zweiten Weltkrieg verlorengegangene Partitur rekonstruiert, und es ist ihm für seinen Einsatz zu danken. Dvoráks Musik, die sich immer wieder zu fesselnden Momenten erhebt, kommt unter Albrechts Leitung zum vollen Gedeihen und Blühen. Bedauerlicherweise fehlen die blühenden Stimmen bei den Vokalsolistinnen. Olga Romanko (Wanda) und Irina Tchistjakova (Bozena) verströmen vorwiegend harte und scharfe Sopran- und Alttöne. Als wohltuende Ausnahme ragt die Mezzosopranistin Michelle Breedt in der Rolle der Zauberin heraus. Der exzellente Tenor Peter Straka (Slavoj), die übrigen Solisten sowie Chor und Orchester wirken in vorbildlicher Harmonie und Geschlossenheit. Somit stellt diese Ersteinspielung eine gelungene Rehabilitation von Dvoráks nahezu unbekannter, mit dem Nimbus der Unaufführbarkeit behafteten Historienoper dar.
Clemens Höslinger [01.03.2001]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Antonín Dvořák | ||
1 | Wanda op. 25 (Tragische Oper in fünf Akten) |
Interpreten der Einspielung
- Olga Romanko (Wanda, Fürstin von Krakau - Sopran)
- Irina Tchistyakova (Bozena, Wandas Schwester - Mezzosopran)
- Peter Straka (Slavoj, Ritter aus Krakau - Tenor)
- Pavel Daniluk (Heidnischer Hohepriester - Baß)
- Ivan Kusnjer (Lumir, Barde aus Krakau - Bariton)
- Michelle Breedt (Homena, eine Zauberin - Mezzosopran)
- Prager Kammerchor (Chor)
- WDR Rundfunkchor Köln (Chor)
- WDR Sinfonieorchester Köln (Orchester)
- Gerd Albrecht (Dirigent)