Elsa Barraine
Symphonies 1 & 2

cpo 555 704-2
1 CD • 62min • 2024
23.06.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die 1910 geborene Elsa Barraine machte erstmals öffentlich auf sich aufmerksam, als sie 19-jährig den begehrten Rompreis gewann. In den 1930er Jahren festigte sie vor allem mit Orchesterwerken ihren Ruf als eines der herausragenden jungen Talente der französischen Musik. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie – als Jüdin, Kommunistin und Widerstandskämpferin gegen die deutsche Besatzung gleich mehrfach gefährdet – im Untergrund überstanden hatte, war sie als Professorin am Pariser Konservatorium, später als Inspekteurin der staatlichen Musiktheater im Dienste des Kulturministeriums weiterhin eine feste Größe im Musikleben Frankreichs, geriet jedoch künstlerisch zunehmend ins Abseits, da sie sich den avantgardistischen Moden verweigerte.
Klare, frische Diktion
Barraines wichtigster Lehrer war Paul Dukas, dem sie auch menschlich nahe stand, der aber in ihrer Musik kaum Spuren hinterlassen hat. Dagegen steht sie hörbar unter dem Einfluss der Groupe des Six. Wie deren Vertreter bevorzugt Barraine knappe Sätze in leicht zu überblickenden, klassizistischen Formen, eine ausgesparte, pointierte Instrumentation mit starken Farbkontrasten und eine mit kernigen Dissonanzen gewürzte, aber auf einfachen, diatonischen Verhältnissen gegründete Harmonik. Barraine war keine entrückte L'Art-pour-l'art-Künstlerin, sondern wollte mit ihrer Musik unmittelbar zu den Hörern sprechen. Ihre Werke sind melodiebetont und in einer klaren, frischen, oft etwas rauen Diktion gehalten, die keine Rätsel zu lösen aufgibt und sofort die Aufmerksamkeit fesselt.
Für cpo hat das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Elena Schwarz nun die erste CD vorgelegt, die ganz dem Orchesterschaffen Elsa Barraines gewidmet ist. Die Symphonien Nr. 1 und Nr. 2, 1931 beziehungsweise 1938 komponiert, sind beide dreisätzig, wobei der Mittelsatz von Nr. 1 als Adagio mit Scherzando-Mittelteil angelegt ist. Am Anfang steht jeweils ein energisches Allegro mit kurzer Einleitung. Eine gewisse Vorliebe für kantige, obstinate Begleitfiguren lässt an die Symphonien Arthur Honeggers denken. In der Zweiten Symphonie gelangt Barraine über einen Trauermarsch zu einem verspielten Finale, hingegen läuft die Erste in einen lang abklingenden Orgelpunkt aus, der wie eine unbeantwortete Frage verlischt.
Mahnung an die Zeitgenossen, Trauermusik für Tizian
Zwischen den Symphonien findet sich mit der Illustration symphonique nach dem Gedicht Pogromes des jüdischen Lyrikers André Spire eine direkte Reaktion der Komponistin auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland. Barraine folgt in ihrer Musik nicht der zweiteiligen Form des Gedichts, das als Dialog zwischen gegen die Verfolgung aufbegehrenden jungen Juden und ihren resignativen Vätern angelegt ist, sondern fängt die spannungsvolle Gesamtstimmung in Form eines langsam sich entfaltenden und zugleich ruhelos anmutenden Melodiebogens ein. In der Musique funèbre pour la Mise au tombeau du Titien, der einzigen Nachkriegskomposition des Albums, sticht ein Klavier klanglich heraus. Es wird aber nicht konzertant behandelt, sondern dient vor allem dazu, dem Stück zu einem charakteristischen harten Klang zu verhelfen. Meist in gleichmäßig langen Notenwerten einher schreitend, fungiert es gewissermaßen als Anführer des imaginären Trauerzuges für Tizian.
Entdeckenswerte Musik
Elena Schwarz hält die Musik mit gut gewählten Tempi in stetem Fluss und bringt die „Handlung“ der einzelnen Sätze wirkungsvoll zur Geltung. Nichts wirkt gezwungen, alle Abschnitte ergeben sich schlüssig auseinander. Das Orchester klingt unter ihrer Leitung scharf profiliert und vielschichtig. Sie versteht es aber auch, ihre Musiker dazu zu animieren, jenem kammermusikalischen Charakter Rechnung zu tragen, der sich in den dünner besetzten Abschnitten der Werke oft einstellt, namentlich dann, wenn Barraine den Holzbläsern wichtige Gedanken anvertraut. So ist dieses Album vortrefflich dazu geeignet, der Musik Elsa Barraines Freunde zu gewinnen.
Norbert Florian Schuck [23.06.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Elsa Barraine | ||
1 | Sinfonie Nr. 2 (Voïna) | 00:17:25 |
4 | Illustration symphonique pour Pogromes d'André Spire | 00:08:33 |
5 | Sinfonie Nr. 1 | 00:25:24 |
8 | Musique funèbre pour la Mise au tombeau du Titien | 00:10:08 |
Interpreten der Einspielung
- Alberto Carnevale Ricci (Klavier)
- WDR Sinfonieorchester Köln (Orchester)
- Elena Schwarz (Dirigentin)