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Besprechung CD

Accent ACC24165

1 CD • 64min • 2004

25.05.2005

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 6
Klangqualität:
Klangqualität: 5
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 6

Ein paradoxes Hörerlebnis: Diese CD umfaßt vier Konzerte, von denen keines mehr existiert oder je existiert hat. Bekanntlich erweiterte Johann Sebastian Bach das Repertoire seines Leipziger Collegium musicum um einige Cembalokonzerte, die allerdings nicht wirklich neu waren, sondern als Bearbeitungen auf ältere Partituren zurückgingen. Doch nur in wenigen Fällen blieb die Originalversion erhalten. Wer mag es da den Musikern und Wissenschaftlern verdenken, wenn sie einmal das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen, um auf dem Weg der versuchten Rekonstruktion die verschollenen Urfassungen aufzuspüren?

Der Oboist Marcel Ponseele und sein Ensemble Il Gardellino haben sich ganz auf diese fiktiven „Bach-Konzerte“ und klingenden Hypothesen eingelassen. Aber schon der Beginn ihrer Aufnahme, das F-Dur-Konzert für Oboe, Streicher und Continuo (die rekonstruierte Vorlage des Cembalokonzerts BWV 1053), verrät den experimentellen Charakter oder, weniger wohlwollend betrachtet, das Willkürliche und Beliebige der musikologischen Detektivarbeit: Denn dasselbe Werk wird mit gleicher Seriosität und Überzeugungskraft von anderen auch für die Flöte, die Oboe d’amore und die Viola reklamiert. Nicht besser sieht es bei dem mutmaßlichen Oboenkonzert in d-Moll aus, dessen Ecksätze sich möglicherweise im fragmentarischen Cembalokonzert BWV 1059, vor allem aber im Concerto und der Sinfonia aus Bachs Kantate Nr. 35 Geist und Seele wird verwirret entdecken lassen – zumindest Spuren dieser Sätze. Dann stellt sich freilich die Frage, wo der langsame Satz jenes Oboenkonzerts abgeblieben sei. In der Sinfonia zur Kantate Ich steh mit einem Fuß im Grabe BWV 156, vermutete vor Jahren Joshua Rifkin, und Ponseele schließt sich dieser gewagten Theorie an.

Am Ende zählt so oder so nur die Praxis, die lebendige, zum Klingen gebrachte Musik. Marcel Ponseele bewährt sich als überzeugender Anwalt dieser „Rekonstruktionen“, sobald er seine ureigenste Stärke ausreizen kann, das lyrische, kantable, delikat getönte Spiel. Die raschen Ecksätze hingegen absolviert er mit einem gewissen Understatement: kultiviert, souverän, aber nicht allzu elektrisierend. Die solistische Besetzung des Gardellino rückt die Konzerte in die Nähe der Kammermusik und damit zurück an den historischen Ursprung, die elitäre Hofmusik im anhaltinischen Köthen. Doch fühlt sich das Ensemble durchaus nicht dem Ideal eines streng linearen, ausgesparten Satzes verpflichtet, nein, die Musiker zeigen sogar ein ausgeprägtes Faible für Klangfülle und Klangflächen. Richtig in ihrem Element scheinen die Streicher des Gardellino ohnehin erst zum guten Schluß, bei der Zugabe, einem Arrangement des Mahler-Liedes Ich bin der Welt abhanden gekommen.

Wolfgang Stähr [25.05.2005]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Sebastian Bach
1Konzert F-Dur BWV 1053R für Oboe d'amore, Streicher und basso continuo (rekonstruiert nach dem Cembalokonzert E-Dur BWV 1053)
2Konzert c-Moll BWV 1060R (rekonstruiert nach dem Konzert c-Moll für zwei Cembali BWV 1060)
3Konzert A-Dur BWV 1055R (rekonstruiert nach dem Cembalokonzert BWV 1055)
4Konzert d-Moll BWV 1059R für Oboe, Streicher und basso continuo (Rekonstruktion)
Gustav Mahler
5Ich bin der Welt abhanden gekommen (F. Rückert)

Interpreten der Einspielung

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