transcendental journey
Sony Classical SK93829
1 CD • 73min • 2003
08.04.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Nach seiner fantastischen Debut-CD bei Sony mit Klavierwerken von Ravel (SMK 87854) legt der chilenische, in München lebende Pianist Juan José Chuquisengo nun beim gleichen Label ein Konzept-Album vor, das unter dem Titel Transcendental Journey mitsamt Sonnenuntergang auf dem Papp-Klapp-Cover und blutrotem Mond auf der CD vielleicht ein bißchen sehr reißerisch aufgemacht ist. Doch inhaltlich und musikalisch hat es die Scheibe in sich! Die transzendentale Reise, die Christoph Schlüren in seinem wie stets sachkundigen Beiheft-Text näher beschreibt, teilt sich beim Hören tatsächlich mit. Aus Stücken zwischen Bach und Corigliano hat der Pianist eine Collage mit Werken aus drei Jahrhunderten zusammengestellt, die von Stufe zu Stufe führen und zugleich Chuquisengos Begabung zur Musik in vielen Facetten erscheinen läßt. Die von ihm bearbeiteten beiden Bach-Choräle Wachet auf und Jesus bleibet meine Freude erklingen in kantabler Schlichtheit. Besonders das zweite Stück hat man wohl seit Dinu Lipattis Einspielung nicht mehr so introvertiert und glühend gehört. Erstaunlich, wie Chuquisengo einen unablässigen Spannungsbogen baut: Es ist aufgrund der gleichförmigen Achtel-Bewegung nicht einfach, dieses Stück in der Schwebe zu halten, zugleich vorwärts zu bringen und dabei die Einheitlichkeit des Tempos nicht aus dem Auge zu verlieren. Diese gleichförmige Bewegung setzt sich in der Gandharva Music des bei uns leider so gut wie unbekannten John Foulds (1880-1939) fort – eine dreieinhalbminütige Skizze, die die in Indien „Gandharva“ genannten Engel des Musizierens in filigrane, repetitive Strukturen faßt. Ein Zeitsprung führt zurück in die Welt des Barock – zu Händels großer G-Dur-Ciaconna, sinnlich ausgekostet, dennoch klar und beredt artikuliert und reich mit Ornamenten geschmückt. Danach geht es wieder zurück zu Foulds und seinem unwiderstehlich lebendigem April/England – stilistisch irgendwo zwischen der Streicher-Suite von Frank Bridge und Lili Boulanger’s Cortége angesiedelt und ein echter Ohrwurm.
Das Vorkommen des nächsten Stückes, des düster hereinbrechenden Allegrettos aus Beethovens siebter Sinfonie in der Liszt-Bearbeitung, wirkt zunächst unmotiviert, es sei denn durch die Kontrastwirkung und die chaconneartige Steigerungswirkung der Variationen. An einer besonders komplexen Stelle scheut der Pianist nicht einmal davor zurück, unter Zuhilfenahme der Mehrspurtechnik sich selbst als Duett-Partner zu Hilfe zu kommen. Die Antwort auf Beethovens Siebte aber ist das folgende Stück – Fantasy on an Ostinato, mit der John Corigliano 1985 die berühmte Vorlage kompositorisch weitergedacht hat. Hier erklingen auf einer CD erstmals beide Werke. Chuquisengo nimmt sich bei Corigliano weit mehr innere Ruhe den Klängen nachzuspüren, als Emanuel Ax in seiner Einspielung von 1999 (Sony SK 60747).
Bis hierin gehört, hält die Produktion immer noch die anfängliche schwebende Balance –ein Wunder angesichts auseinanderliegender Aufnahmedaten. Dann fließt die Energie in ein fulminantes Finale, das drei der aufregendsten Klavier-Toccaten der Musikgeschichte aneinanderreiht – Bachs c-Moll-Toccata, Schumanns jugendlich-drängende Toccata C-Dur op. 7 und die alles hinweg fegende d-Moll-Toccata von Prokofieff. Chuquisengos Spiel läßt einen nach dem Anhören der CD atemlos zurück. Auch der Klang ist sehr gut, und die Atmosphäre des Ganzen geht unter die Haut. Ich zögere nicht, diese Aufnahme solchen Produktionen wie den Debussy-Préludes mit Michelangeli, Beethovens Klaviersonaten mit Gulda oder Liszts-Klavierkonzerten mit den Cziffra-Brüdern an die Seite zu stellen...
Dr. Benjamin G. Cohrs [08.04.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Wachet auf, ruft uns die Stimme BWV 645 (Choralvorspiel) | |
2 | Jesus bleibet meine Freude (from: Herz und Mund und Tat und Leben BWV 147) | |
John Foulds | ||
3 | Gandhava-Music op. 49 | |
Georg Friedrich Händel | ||
4 | Chaconne G-Dur HWV 435 für Cembalo (mit 21 Variationen) | |
John Foulds | ||
5 | April-England op. 48 Nr. 1 | |
Ludwig van Beethoven | ||
6 | Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 | |
John Corigliano | ||
7 | Fantasia on an Ostinato für Orchester | |
Johann Sebastian Bach | ||
8 | Toccata c-Moll BWV 911 | |
Robert Schumann | ||
9 | Toccata C-Dur op. 7 | |
Sergej Prokofjew | ||
10 | Toccata d-Moll op. 11 |
Interpreten der Einspielung
- Juan José Chuquisengo (Klavier)