Bach
Cantatas Vol. 1
Soli Deo Gloria SDG 101
2 CD • 2h 28min • 2000
05.04.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Als Pilgerfahrt hat John Eliot Gardiner seine Konzerttournee ausgegeben, auf der er im Bach-Jahr 2000 alle Kantaten des Thomaskantors an verschiedenen Orten Europas aufführte. Weil seine damalige Plattenfirma nach einigen Veröffentlichungen der Konzert- bzw. Generalprobenmitschnitte absprang, hat Gardiner – wie schon vor ihm Ton Koopman, den das gleiche Schicksal ereilte – sein eigenes Label gegründet, welches er „Soli Deo Gloria“ (Allein Gott Ehre) nannte. Diese Bescheidenheit nimmt man ihm nicht ab, denn sowohl aus der Präsentation als auch aus der musikalischen Darbietung springt dem Publikum eine gehörige Portion eitler Selbstdarstellung entgegen. Gardiner ignoriert vieles von dem, was in jüngster Zeit an neuen Erkenntnissen über Bachs Aufführungspraxis gewonnen worden ist, seien es Fragen der Besetzungsstärke von „Chor“ und Orchester (einen Chor im heutigen Sinne hat Bach nie für seine Kantaten, sondern allenfalls für Motetten älterer Komponisten eingesetzt), sei es die Stimmtonhöhe, sei es das Problem des gleichzeitigen Einsatzes von Orgel und Cembalo (die These des Doppelakkompagnements, die in den 1980er Jahren für mehr Klangfarben im Basso continuo sorgen sollte, wird heute wesentlich differenzierter betrachtet, als dies im vorliegenden Falle zu hören ist).
Gardiner führt die virtuosen Fähigkeiten seiner Ensembles mit einem Höchstmaß an Brillanz vor, doch wenn der Monteverdi Choir in der Kantate Nr. 167 singt: „... von Herzen auf ihn bauen...“, so glaubt man ihm nicht nur wegen der schlechten Aussprache, sondern vor allem wegen der kühlen Atmosphäre kein Wort. Instrumental- und vokaltechnisch läuft hier alles tadellos und gewiß auf einem Niveau, von dem andere nur träumen können. Was gänzlich fehlt, ist ein Sinn für das religiöse, speziell für das evangelische Anliegen dieser Musik. Gardiner doziert messerscharf, aber er predigt nicht. Insofern ist völlig unverständlich, wie man seinen Ansatz – wie unlängst in einer renommierten englischen Fachzeitschrift geschehen – mit dem von Masaaki Suzuki gleichsetzen kann, der sich Bachs Werken zwar mit einem vergleichbaren Chor- und Orchesterapparat, jedoch mit einer geradezu konträren Geisteshaltung nähert.
Zur Baßarie der Kantate Nr. 20 schreibt Gardiner: „Plötzlich sind wir in der Welt der Opera buffa – besser gesagt, in der Welt der Enten, davon drei (Oboen) und ein Fagott, die in liebenswürdigem Einvernehmen schnatternd seiner Feststellung ‚Gott ist gerecht’ zustimmen“. Für solch einen Unsinn bietet weder der Text noch die Musik irgendeinen Anhaltspunkt. Was bleibt, ist ein gewisser Respekt, einerseits vor der logistischen Leistung, die Bach-Tournee zu organisieren und auf CD zu pressen, andererseits vor der technischen Souveränität der Musiker. Eine weitere Gesamteinspielung der Bach-Kantaten läßt sich damit allein aber nicht mehr rechtfertigen.
Theodor Schliehen [05.04.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Ihr Menschen, rühmet Gottes Liebe BWV 167 (Kantate) | |
2 | Christ unser Herr zum Jordan kam BWV 7 | |
3 | Freue dich, erlöste Schar BWV 30 | |
4 | Die Elenden sollen essen BWV 75 (1723) | |
5 | Brich dem Hungrigen dein Brot BWV 39 | |
6 | O Ewigkeit, du Donnerwort BWV 20 (Kantate) |
Interpreten der Einspielung
- Joanne Lunn (Sopran)
- Gillian Keith (Sopran)
- Wilke te Brummelstroete (Alt)
- Paul Agnew (Tenor)
- Dietrich Henschel (Bass)
- The Monteverdi Choir (Chor)
- The English Baroque Soloists (Orchester)
- Sir John Eliot Gardiner (Dirigent)