BIS CD-737
1 CD • 72min • 2004
09.02.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Nicht mehr ganz taufrisch sind die Aufnahmen dieser CD. Darf man dem Booklet Glauben schenken, so wurden die vier Ensemblestücke 1994, die Soli 2001 eingespielt. Helen Jahren, Holliger-Schülerin und eine der bekanntesten skandinavischen Oboistinnen und ihre kompetente Klavierpartnerin Elisabeth Westenholz halten sich bei der Programmauswahl an das Mainstream-Repertoire zeitgenössischer Oboenmusik. Sämtliche Stücke der CD gibt es in mehreren Vergleichseinspielungen.
Benjamin Britten hatte offenbar eine besondere Affinität zum Klang der Oboe. In den dreissiger Jahren enstanden in relativ rascher Folge mehrere Oboenstücke: 1932 das Fantasy Quartet, 1935 die Two Insect Pieces und 1936 die Temporal Variations. 1951 krönte er die Reihe mit seinen Metamorphosen op. 49, die seither zum Standardrepertoire eines jeden Oboisten gehören.
Die beiden launigen Insektenstücke verfehlen nicht ihren Effekt; eindrucksvoller – musikalisch wie interpretatorisch – gelingen den beiden Musikerinnen die Temporal Variations. Britten selbst zog dieses Werk nach der misslungenen Uraufführung zurück und es erschien erst nach dem Tod des Komponisten im Druck. Klanglich bestens balanciert, treffen Jahren/Westenholz mit feinem Gespür den charakteristischen Ton dieser bunten Variationenfolge. Dies gilt auch für das folgende Werk des ungarisch-amerikanischen Dirigenten Antal Doráti, der neben seinen über 600 Plattenaufnahmen auch ein beachtliches kompositorisches Œuvre hinterlassen hat. Sein eklektizistisches, an Bartók angelehntes Diptychon Duo concertante aus dem Jahr 1983 besteht aus zwei gleich gewichteten Teilen – einem atmosphärischen, gleichsam impressionistischen Nachtstück und einer humorvollen, virtuosen Burleske, die mit brillantem Figurenwerk in beiden Partien aufwartet. Stilistisch avancierter hingegen sind die Vier Stücke Ernst Kreneks, die sich durch eine gewisse melodische Beliebigkeit auszeichnen. Ihr Reiz liegt eher in der rhythmischen Organisation und im klanglichen Profil: Flatterzunge, Glissandi, Akkordklänge, Geräuscheffekte, Bariolage und extreme Triller; alles wird hier aufgeboten, was Mitte der sechziger Jahre wohl zu einem modern Oboenstück dazugehörte. Im Vergleich dazu fällt die 1956 komponierte Solo-Sonatine, eine spröde, nur wenig inspirierte Routinearbeit, etwas ab. Weitaus dankbarer zu hören sind Dorátis fantasievolle, idiomatische Solo-Miniaturen aus den Jahren 1980/81. Sie zählen wie Brittens Metamorphosen zu den Klassikern des modernen Repertoires.
Wer häufig aufgeführte (und aufgenommene) Werke einspielt, muß sich nicht nur dem Vergleich mit anderen Künstlern stellen, sondern sich auch einen genaueren Blick in den Notentext gefallen lassen. Hierbei zeigt Helen Jahrens Interpretation deutliche Schwächen: Dorátis Notation ist außerordentlich präzis, Artikulation und Dynamik sind minutiös bezeichnet. Mit ihrer “interpretatorischen Freiheit” gräbt sich Jahren hier eine Grube und erweist dem Werk einen Bärendienst. Allzu oft übersieht sie die vielfältigen Angaben des Komponisten, differenziert weder die verschieden bezeichneten Fermaten, noch verdeutlicht sie Unterschiede zwischen auftaktigen Figuren und Vorschlägen (etwa im ersten Stück). Am problematischsten erweist sich ihre Lesart im dritten Stück, einer dreistimmigen (sic!) Fuge, die der Komponist im Anhang eigens als Partitur notiert hat. Was sie sich hier an agogischer und sonstiger Freiheit – nennen wir es besser Nachlässigkeit – herausnimmt, konterkariert geradezu das Konzept dieses originellen Stückes mit seiner auskomponierten Agogik, das für den Hörer gerade nur dann “funktioniert”, wenn einerseits der Puls peinlich genau gehalten wird und andererseits die drei Schichten im musikalischen Profil klar voneinander unterscheidbar sind. Auch Helen Jahrens Britten-Solo mangelt es zuweilen an Sorgfalt. Selten beachtet sie die originalen Tenuto-Markierungen; Bacchus – im Gegenzug – verliert durch zu freie agogische Auslegung an rhythmischer Kontur, und die verhaltene, klagende Niobe gerät über weite Strecken klanglich zu präsent. Versöhnlicher stimmt Helen Jahrens Spiel beim Schlußeffekt des “Erstarrens” und bei den zauberhaft gestalteten Echostellen in Narcissus.
Alles in allem eine Aufnahme mit Stärken, aber auch klaren Schwachpunkten, zu der es im Katalog zahlreiche Alternativen gibt.
Heinz Braun † [09.02.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Benjamin Britten | ||
1 | Temporal Variations für Oboe und Klavier (1936) | |
2 | Metamorphosen nach Ovid op. 49 (daraus: "Pan" und "Phaeton") | |
Antal Doráti | ||
3 | Fünf Stücke für Oboe solo | |
4 | Duo concertante | |
Ernst Krenek | ||
5 | Sonatine für Oboe solo | |
6 | Vier Stücke op. 193 für Oboe und Klavier |
Interpreten der Einspielung
- Helen Jahren (Oboe)
- Elisabeth Westenholz (Klavier)