cpo 777 040-2
1 CD • 61min • 2001
05.11.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Nach den ausführlichen biographischen Hinweisen von Eckhardt van den Hoogen im Beiheft nimmt man noch mehr Anteil an Antheil und begreift die Unbekümmertheit dieser Musik als Ausdruck einer zur Überheblichkeit neigenden Sturm-und-Drang-Persönlichkeit, die ihr Leben früh verschlissen hat: George Antheil starb 1959 mit nicht einmal 60 Jahren und hat etliche angefangene Projekte nie zuende geführt. Zu Recht mag der Autor die hier eingespielte dritte Sinfonie eher als unzusammenhängenden Bilderreigen im Stil einer „Sinfonia Charatteristica“ denn als sinfonisch organisierte Groß-Struktur empfinden. Das kann damit zu tun haben, daß thematische Erfindung bei Antheil eben keine Bedingung für das Komponieren ist wie beispielsweise bei Honegger oder dem von Antheil selbst geschätzten (und in der Dritten zitierten) Sibelius. Antheil hatte eher ein Talent, Melodien und Abschnitte aneinanderzufügen und seine Musik durch einfallsreiche Rhythmik und Klangphantasie aufzupeppen, ähnlich vielleicht wie Gustav Holst, der auch nur wenige wirklich komplex durchstrukturierte sinfonische Werke hinterlassen hat (The Planets, Choral Symphony, Hymn of Jesus).
Doch wirkt gerade die dritte Sinfonie (1936–9) in ihren Bildern, ihrem Untertitel entsprechend, weitaus „amerikanischer“ als so mancher andere Versuch von Komponisten aus den USA, „amerikanische Musik“ zu schreiben – was dort seinerzeit eine große Debatte war (vergleiche z.B. Bernsteins Äußerungen in seinem Buch Freude an der Musik oder die von Aaron Copland in Unsere neue Musik, auf Deutsch 1947 erschienen). Das mag an dem unbekümmerten „Hoppla, jetzt komm ich“-Charakter liegen, der das ambivalente Verhältnis zum alten Europa (Mahler-Zitate im zweiten Satz) unverblümt mit an Copland erinnernden Klängen und Rhythmen verbindet. Copland erwähnt im genannten Buch Antheil übrigens mit keinem Wort. Auch heute wird die seinerzeit durchaus innovative Musik dieses Enfant terrible kaum gewürdigt – sieht man einmal von seiner gelegentlich aufgeführten und eingespielten Jazz Symphony ab, die den Ideologen unter den Musikästhetikern leider schon früh eine passende Schublade lieferte.
Daß Antheil aber weit mehr Facetten hat als die eines allzu jazzigen Gershwin-Imitats oder Filmmusik-Komponisten, zeigt diese Neu-Produktion des RSO Frankfurt mit seinem amerikanischen Chefdirigenten Hugh Wolff, der hier völlig in seinem Element ist. Die unterhaltsameren Passagen entwickelt er mit zündendem Drive – zum Beispiel der ins Groteske überkippende Hot Time Dance (Tr. 6), der auf einem alten amerikanischen Lied beruht (Filmfreunde kennen es als Chew, chew, chew aus der Kellogg-Groteske Welcome to Wellville nach T.C. Boyle). Doch auch den doppeldeutigen Passagen bleibt man hier nichts schuldig – wie dem zweiten Bild der Sinfonie oder dem meisterhaften Ballett Capital of the World, von dem hier leider nur eine dreisätzige Suite erklingt. Allenfalls hätte ich mir angesichts der nicht ausgeschöpften Laufzeit und einem Überfluß von energetisch vorwärts drängenden Stücken noch zehn Minuten mehr an ruhigen Intermezzi wie der atmosphärisch dichten Meditation (Tr. 9) gewünscht. Doch diese Produktion schließt einmal mehr eine wichtige Lücke in der Discographie – und die Musik ist meinem Eindruck nach mindestens so unwiderstehlich wie das Beste von Bernstein. Absolut empfehlenswert!
Dr. Benjamin G. Cohrs [05.11.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
George Antheil | ||
1 | Amerikanische Nr. 3 (1936/1946) | |
2 | Tom Sawyer (Ouvertüre, 1949) | |
3 | Hot-Time Dance (1948) | |
4 | McKonkey's Ferry (Ouvertüre, 1948) | |
5 | Capital of the World (Suite, 1953) |
Interpreten der Einspielung
- Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt (Orchester)
- Hugh Wolff (Dirigent)