Antonio Vivaldi - La Stravaganza
Channel Classics CCS SA 19503
2 CD • 1h 43min • 2002
23.06.2003
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Vivaldis Opus 4, die zwölf Konzerte La Stravaganza, stehen noch im Schatten seines berühmten Opus 3 (L’Estro Armonico), mit dem er seinen internationalen Durchbruch erlangte, und seines Opus 8 (Il Cimento dell’ Armonia e dell’ Invenzione), das die berühmten Vier Jahreszeiten enthält. Dabei ist das vorliegende Dutzend mindestens genauso schön und bietet eine ähnliche Vielfalt, wenn auch nicht so augenfällig – es wäre zu billig gewesen, hätte Vivaldi den architektonischen Paukenschlag seines Estro Armonico einfach nur wiederholt. Einige dieser Stücke sind reine Violinkonzerte, andere beteiligen eine zweite Sologeige zumindest partiell am Geschehen, andere wiederum lassen mit einem obligaten Cello Relikte des Corellischen Concerto grosso erkennen. Aber auch bezüglich der Ritornellstruktur gibt es eine Menge zu entdecken: Hier liegt alles andere als ein Vivaldi von der Stange vor.
Bereits 1986 hat Monica Huggett mit der Academy of Ancient Music unter Leitung von Christopher Hogwood eine philologisch vorbildliche und interpretatorisch sehr ausgewogene Referenzeinspielung der Stravaganza vorgelegt. Seitdem hat man den Engländern immer wieder vorgeworfen, sie spielten ihren Vivaldi zu glatt; italienische Ensembles wie Il Giardino Armonico oder L’Europa Galante bürsteten daraufhin den Venezianer kräftig gegen den Strich. Diesem robusten Stil scheinen Rachel Podger und das polnische Ensemble Arte di Suonatori verpflichtet zu sein, denn sie lassen es an allen Ecken und Ende ordentlich krachen und ziehen dynamische, agogische oder artikulatorische Kontraste in die Extreme. Zunächst wirkt das sehr effektvoll, und wir wissen aus zeitgenössischen Beschreibungen, daß auch Vivaldi kein zurückhaltender Geiger war. Im Falle einer CD-Einspielung stellt sich aber die alte Frage, in der per se keine Einigkeit zu erlangen ist: Soll man im Studio so spielen wie auf der Bühne, um einen einmaligen Augenblick festzuhalten, oder soll man Rücksicht auf die Wiederholbarkeit des Hörerlebnisses nehmen und darauf verzichten, die Überraschungen, die beim zweiten Mal keine mehr sind, dem Hörer um die Ohren zu schlagen?
Wer der ersten Position zuneigt, wird bei Podger viel Atemberaubendes finden; wer sich der anderen Meinung anschließt, wird von Huggett und Hogwood freundlicher zum Zuhören und Entdecken eingeladen. Exemplarisch kann man dies am dritten Konzert deutlich machen, das in der alten Referenzeinspielung wunderbar federt und bei aller Lebendigkeit eine vergnügte Seelenruh ausstrahlt, während Podger in ihm einen Orkan entfacht, wofür angesichts der „unproblematischen“ Tonart G-Dur eigentlich kein Anlaß besteht.
Abschließend ein nicht unerhebliches aufführungspraktisches Detail: 1986 hatte Hogwood bereits den Verdacht, daß mit „Violone“ bei Vivaldi nicht zwangsläufig ein Kontrabaß gemeint ist. Dementsprechend hatte er beim dritten Konzert gewissermaßen einen Versuchsballon ohne 16-Fuß-Instrument gestartet. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß seine Vermutung richtig war und für einen großen Bereich venezianischer Instrumentalmusik des frühen 18. Jahrhunderts gilt. Dieses Forschungsergebnis darf von jüngeren Interpreten, die den Anspruch auf eine historische Perspektive erheben, nicht (wie in der vorliegenden Aufnahme) wortlos übergangen werden.
Dr. Matthias Hengelbrock [23.06.2003]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Antonio Vivaldi | ||
1 | Concerto B-Dur op. 4 Nr. 1 RV 383a für Violine, Streicher und basso continuo | |
2 | Concerto e-Moll op. 4 Nr. 2 RV 279 für Violine, Streicher und Basso continuo | |
3 | Concerto G-Dur op. 4 Nr. 3 RV 301 für Violine, Streicher und Basso continuo | |
4 | Concerto a-Moll op. 4 Nr. 4 RV 357 für Violine, Streicher und Basso continuo | |
5 | Concerto A-Dur op. 4 Nr. 5 RV 347 für Violine, Streicher und Basso continuo | |
6 | Concerto g-Moll op. 4 Nr. 6 RV 316a für Violine, Streicher und Basso continuo | |
7 | Concerto C-Dur op. 4 Nr. 7 RV 185 für Violine, Streicher und basso continuo | |
8 | Concerto d-Moll op. 4 Nr. 8 RV 249 für Violine, Streicher und Basso continuo | |
9 | Concerto F-Dur op. 4 Nr. 9 RV 284 für Violine, Streicher und Basso continuo (La Stravaganza) | |
10 | Concerto c-Moll op. 4 Nr. 10 RV 196 für Violine, Streicher und Basso continuo | |
11 | Concerto D-Dur op. 4 Nr. 11 RV 204 für Violine, Streicher und Basso continuo | |
12 | Concerto G-Dur op. 4 Nr. 12 RV 298 für Violine, Streicher und Basso continuo |
Interpreten der Einspielung
- Arte dei Suonatori (Orchester)
- Rachel Podger (Violine)