Chandos CHAN 9855(4)
4 CD • 3h 55min • 1999
01.11.2000
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Opernbühnen machen in der Regel einen weiten Bogen um dieses monumentale Werk, wohl in erster Linie wegen seiner enormen szenischen und personellen Ansprüche. Im Plattenkatalog hingegen führt Prokofieffs Tolstoi-Oper ein recht vitales Dasein. Wenn man die Ersteinspielung von 1959 (auf Heliodor, eine Belgrad-Wien-Produktion) mitrechnet, kommt man mit der Neuerscheinung auf respektable fünf Stück. Als maßstäbliche Aufnahme gilt in der Regel die 1960 entstandene Bolschoi-Aufnahme unter Alexander Melik-Paschajew, nicht zuletzt wegen ihrer großartigen Sängerbesetzung (mit Galina Wischnewskaja als Natascha). So mitreißend und schwungvoll diese Wiedergabe auch ist – sie hat doch den Nachteil der Unvollständigkeit. Die Riesenhaftigkeit des Werks verleitet begreiflicherweise zu Kürzungen und Umstellungen, auch existieren von Woina i mir mehrere Fassungen, wodurch es in den diversen Aufnahmen zu nicht unwesentlichen Unterschieden kommt. Das äußert sich auch in der Länge des Werks. Es gibt Einspielungen, die mit drei CD auskommen (BMG, Philips), wogegen die in Frankreich entstandene Version unter Rostropowitsch (EW) vier Einheiten erfordert. Auch die Neuproduktion bei Chandos, ein Mitschnitt vom Spoleto Festival 1999, ist vierteilig. Die teils mit russischen, teils mit westlichen Sängern besetzte Version kann im Großen und Ganzen neben den älteren Aufnahmen bestehen, sie überzeugt durch feurigen Eifer und enthusiastische Beteiligung aller Gesangssolisten, ebenso auch des Festival-Orchesters unter Richard Hickox. Als echte Crux der Wiedergabe erweist sich der keineswegs ausreichende, manchmal sogar unzulängliche Chor. Da klingt es oft dünn und dürftig, wo die Urgewalt hervorbrechen sollte.
Hervorragend ist das zentrale Liebespaar der Handlung besetzt, hier gibt es keine Gefährdung durch Konkurrenz. Ekatarina Morosowa als Natascha läßt eine schöne, leuchtenden Sopranstimme voll Reinheit und lieblichem Klang hören. Auch Roderick Williams besitzt den richtigen noblen, weichen und zugleich männlichen Gesangston für die tragische Rolle des Fürsten Andrej. Rundherum eine Fülle von scharf gezeichneten Episoden, in denen einige Sänger mehrfach zum Einsatz kommen. Alles in allem eine respektgebietende Leistung, zugleich auch ein überzeugendes Votum für ein Werk, das manchmal etwas geringschätzig als "Hammer- und Sichel"-Kunstwerk angesehen wird. Doch sollte auch die Macht der Musik nicht unterschätzt werden, der Sturm der Begeisterung, der das Werk durchflutet, und nicht zuletzt die vielen schönen, blühenden Melodien, die dem Komponisten eingefallen sind.
Clemens Höslinger [01.11.2000]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Sergej Prokofjew | ||
1 | Krieg und Frieden |
Interpreten der Einspielung
- Ekaterina Morozova (Sopran)
- Pamela Helen Stephen (Mezzosopran)
- Justin Lavender (Tenor)
- Oleg Balashov (Tenor)
- Roderick Williams (Bariton)
- Igor Matioukhin (Bariton)
- Alan Ewing (Baß)
- Stephen Dupont (Baß)
- Russian State Symphonic Cappella (Ensemble)
- Spoleto Festival Orchestra (Orchester)
- Richard Hickox (Dirigent)