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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

Kompass

Viermal Ostern

Respighi • Vaughan Williams • Rimsky-Korssakoff • Duruflé

Die vier hier einander gegenübergestellten Werke entstanden in der Zeit zwischen 1888 und 1947 – nicht nur zeitlich liegen da Welten dazwischen. Trotzdem gibt es einen roten Faden, der die Stücke miteinander verbindet...

Auf den ersten Blick haben die hier ausgewählten Komponisten nicht viel gemein: Nikolai Rimsky-Korssakoff (1844–1908) und Ralph Vaughan Williams (1872–1958) fiel die Aufgabe zu, Vorreiter bei der Ausprägung eines spezifischen Nationalstils zu sein, der nicht zuletzt auch auf der intensiven Auseinandersetzung mit dem Volksliedschatz ihrer Länder gründete. Ottorino Respighi (1879– 1936) und Maurice Duruflé (1902–1986) fanden einen ausgeprägten Nationalstil bereits vor und verknüpften die Errungenschaften ihrer Zeit mit einer Rückbesinnung auf mittelalterliche Musik, die sich insbesondere in der Verwendung der alten Kirchentonarten dorisch, phrygisch, lydisch und mixolydisch ausdrückte – Tonleitern wie Dur und Moll, in denen jedoch die beiden Halbtonschritte an jeweils anderer Stelle stehen. Dadurch werden neue Farben möglich, und der Klang wirkt oft archaisch. Rimsky-Korssakoff war vor allem ein bedeutender Opernkomponist; Vaughan Williams schuf neun großartige Sinfonien; Respighi war für glänzend instrumentierte sinfonische Dichtungen und Konzerte bekannt; Duruflé hinterließ ein schmales Œuvre von gleichwohl bedeutenden Kirchenkompositionen. Und doch haben alle vier jeweils ein Werk hinterlassen, das sich auf ganz besondere Weise mit dem Osterfest auseinandersetzt.

Ralph Vaughan Williams

Ralph Vaughan Williams schrieb 1910 seine Tallis-Fantasy für drei Streichergruppen, die im Raum verteilt aufzustellen sind – Soloquartett, großes Haupt- und kleines Echoorchester. Damit wollte der Komponist den ganzen Raum der Uraufführung, die Kathedrale in Gloucester, mit einbeziehen und zugleich auch an die mehrchörige Musiziertradition des Barock in den Kirchen Venedigs erinnern. Das knapp viertelstündige Werk folgt der Form barocker Fantasien über ein Choralthema, hier die Osterhymne When Rising from the Bed of Death (Vom Totenbett auferstehend) von Thomas Tallis (1567). Sie erklingt beim ersten Mal in ausdrucksvoller Gestalt: Nahezu alle Streicher spielen das Thema im Einklang. In höchster Lage imitieren die zarten ersten Geigen eine Vox coelestis, und die Bässe setzen zupfend das Fundament.

Ottorino Respighi

Respighi verwendete für den zweiten und dritten Satz seines 1921 komponierten Concerto Gregoriano Oster-Choräle aus dem alten Gesangsbuch der römischen Kirche, dem Graduale Romanum. Für das einleitende Präludium hat Respighi selbst gregorianisch anmutende Melodien erfunden; Original-Choräle konnten darin nicht nachgewiesen werden.

Maurice Duruflé

Duruflé schuf zum Andenken seines verstorbenen Vaters ein achtteiliges Requiem für Soli, Chor, Orgel und Orchester: „Mein Requiem, das ich 1947 fertiggestellt habe, ist völlig nach den gregorianischen Themen der Messe des morts komponiert. Auf eine besondere Art und Weise habe ich versucht, den eigenen Stil der gregorianischen Themen zu verinnerlichen: Im Rahmen des Möglichen bemühte ich mich, die gregorianische Rhythmik, so wie sie von den Benediktinern in Solesmes gepflegt wird, mit den Forderungen des modernen Taktmaßes zu vereinbaren“, schrieb der Komponist dazu.

Nikolai Rimsky-Korssakoff

Rimsky-Korssakoff schließlich benutzte Gesänge aus der Osterliturgie der russisch-orthodoxen Kirche. „Mir schwebten ganz bestimmte Bilder vor: Die recht ausgedehnte, langsame Einleitung über die sich abwechselnden Themen ,Der Herr wird auferstehen' und ,Der Engel sprach' gibt gleichsam die Prophezeiung Jesaja von Christi Auferstehung wieder. Die düsteren Farben des Andante bezeichnen das Heilige Grab, über dem sich plötzlich, mit dem Eintritt des Allegro, das die Auferstehung anzeigt, strahlendes Licht ausbreitet. Sein Beginn – Und es fliehen sein Angesicht die, die ihn hassen – leitet über zur festlichen Stimmung der orthodoxen Frühmesse. Dem feierlichen Posaunenchoral des Erzengels folgt freudiger, fast schon tänzerischer Glockenklang. Das Osterthema Christ ist erstanden mischt sich darunter und liegt auch der feierlichen Coda zugrunde.“ So beschreibt der Komponist in seinen Lebenserinnerungen aufs beste selbst die Oster-Stationen, die alle vier Stücke nachzeichnen. Ob Fantasie, Violinkonzert, Requiem oder Ouvertüre – stets finden wir darin Christi Grablegung, die Erinnerung an die Taufe und schließlich die Auferstehung, die Feier des Osterlichts, das in die Welt kommt.

Bei Vaughan Williams drückt sich die Grabstimmung in der Einleitung aus: Nach vier glühenden Anfangsakkorden schaffen Fragmente der Tallis-Hymne im Wechselspiel von zupfenden Bässen, Echo-Orchester und gesamtem Klangkörper eine geheimnisvolle Stimmung und erinnern zugleich, wie auch Rimsky-Korssakoff (Posaunen und Streicher), an den Wechselgesang von Vorsänger und Gemeinde.

Auch Respighi führt uns zu Beginn mit Streicherakkorden in die Grabkirche. Das von Oboe und Fagott vorgestellte Thema bildet gleichfalls einen Wechselgesang. Bei seiner Wiederholung übernimmt schließlich die Solovioline die Rolle des Kantors. Wie Respighi hier die Stimmen verwebt, erinnert auch an das geheimnisvolle Netzwerk, das Vaughan Williams später dem Solo-Streichquartett zuweist.

Trost und Jubel

Duruflé schafft eine ähnliche Atmosphäre, wenn er im Introitus zunächst die Bässe das Choralthema singen, in seiner späteren Wiederkehr dann Geigen und Bratschen den Dialog führen läßt, während der Chor das Requiem psalmodiert und die Harfe deutlich vernehmbar das Dies Irae-Motiv spielt. Nicht von ungefähr erinnert dieser Choral auch an das Thema des zweiten Satzes bei Respighi: Es handelt sich um die Antiphon Victimae paschali laudes (12. Jahrhundert), die wiederum als Vorlage zu Luthers Christ ist erstanden gedient hat. Respighi behandelt sie auf ganz ähnliche Weise wie Duruflé.

Die Bejahung der Auferstehung, der Osterjubel, den Rimsky-Korssakoff schon so ekstatisch feierte, findet bei Vaughan Williams und Duruflé schließlich Ausdruck in der Erinnerung an den kultischen Tanz, wie er in der christlichen Frühkirche üblich war: In der Tallis-Fantasy vereinen sich nach furioser Steigerung alle Streicher zu einem swingenden Höhepunkt, und Duruflé gelingt im Sanctus in nur 3’28 Minuten eine nahezu orgiastische Steigerung in der impressionistischen Tradition von Debussy (vgl. Nocturnes, 2. Satz) und Ravel (Daphnis et Chloë: Levér du jour).

Vaughan Williams und Duruflé kommen zu einer trostvollen Schlußverklärung – die Fantasy läßt ihre Elemente in einem Epilog noch einmal Revue passieren, bevor ein langer Kirchenschluß sie beendet, und das Requiem schließt mit dem innigen Sopransolo Ins Paradies werden dich die Engel leiten. Respighi beendet sein Violinkonzert mit einem jubelnden Finale, das aus zwei österlichen Alleluja-Gesängen gebaut ist. Wieder steht die Violine als „Kantor“ im Vordergrund; das Orchester bildet die Gemeinde.

Dr. Benjamin G. Cohrs

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