Longing
Webern | Bartók | Britten
Animato Quartet
Challenge Classics CC720035
1 CD • 68min • 2025
19.11.2025
Künstlerische Qualität:![]()
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Gesamteindruck:![]()
Klassik Heute
Empfehlung
Mit dem vorliegenden Album gibt das niederländische Animato-Quartett sein CD-Debüt – ein Ensemble, das 2013 gegründet wurde und somit trotz des jungendlichen Alters seiner Musiker (die Bratschistin etwa ist Jahrgang 1996) bereits seit geraumer Zeit zusammen auftritt, gewissermaßen also gemeinsam (musikalisch) herangewachsen ist. Unter dem Titel Longing hat das Quartett ein Programm aus relativ frühen Werken von Komponisten der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammengestellt, die mehr oder weniger explizit einen Bezug zum musikalischen und persönlichen (Heran-) Reifen ihrer Schöpfer aufweisen.
Homogenes, fein aufeinander abgestimmtes Quartettspiel
Entstanden ist das Konzept des Programms aus den beiden jeweils ersten Quartetten von Béla Bartók und Benjamin Britten, doch den (programmatisch dazu passenden) Auftakt bildet der Langsame Satz für Streichquartett von Anton Webern, ein noch klar spätromantisch geprägtes Adagio in Es-Dur (nicht c-moll, wie manchmal zu lesen ist), geschrieben im Frühsommer 1905, als Webern und seine zukünftige Frau frisch zueinandergefunden hatten. Das Animato-Quartett lässt diesem Frühwerk, das vor allem von seiner expressiven Geste lebt, eine ausgezeichnete Interpretation zukommen. Dies ist homogenes, fein aufeinander abgestimmtes, sehr kultiviertes und sorgfältiges Quartettspiel, das etliche Details (Vortragsanweisungen wie belebend, zögernd etc.) ebenso durchdacht wie überzeugend realisiert; eine innige, beseelte Deutung, die diesen langsamen Satz gleichzeitig bemerkenswert aktiv begreift, etwa bei den kraftvoll angesteuerten Höhepunkten im Mittelteil.
Verinnerlichte Expressivität und klug disponierte Steigerungen
Ähnliche Qualitäten kennzeichnen auch die Lesart von Béla Bartóks Streichquartett Nr. 1 Sz 40 (1908/09), das wie Bartóks Violinkonzert Nr. 1 vor dem Hintergrund seiner (unglücklichen) Liebe zu der jungen Geigerin Stefi Geyer entstand. Das Beiheft hebt seine Stellung zwischen den spätromantischen Anfängen und dem reifen Stil seines Schöpfers hervor, und doch zeigt gerade der Vergleich zu Weberns Satz, wie viel weiter auf dem Weg zu sich selbst der junge Bartók hier bereits ist (nicht von ungefähr spielt die in der Trackliste angegebene Tonart a-moll faktisch kaum eine Rolle, selbst wenn die letzten Partiturseiten „in a“ stehen). Das Animato-Quartett begreift den langsamen ersten Satz eher verhalten, geprägt durch eine nach innen gerichtete Expressivität, auch im Fortissimo eher rund (vgl. Ziffer 6). Umso auffälliger dann die Tenuto-Viertel kurz vor Schluss des Satzes, wenn das Ensemble mit sehr wenig Vibrato (als lokales Stilmittel, keineswegs durchgängig!) diese Klimax gleichsam mit kristalliner Klarheit, ja Schärfe versieht. Versteht das Quartett den Beginn des zweiten Satzes zunächst in Kontinuität zur zurückgenommenen Grundstimmung des ersten und mit vergleichsweise moderatem Tempo, so entfachen die Musiker im Verlaufe des Satzes auf eindrucksvolle Weise peu à peu erhebliche Steigerungen und Entladungen von beträchtlicher Vehemenz. So werden die Pizzicati des Cellos (Ziffer 9) sehr bewusst als Störungen begriffen, die schließlich ab Ziffer 14 zu einem massiven Höhepunkt geführt werden bis hin zu den wuchtigen Echos dieser Cellopizzicati im Unisono des gesamten Quartetts (Ziffer 19). Ebenso klug disponiert wird der Satz aber auch zu seinem ruhigen Ausklang geführt.
Vielseitigkeit und Flexibilität
Die hohe Spielkultur des Animato-Quartetts ist exemplarisch zu Beginn des 1941 entstandenen Streichquartetts Nr. 1 D-Dur op. 25 von Benjamin Britten zu beobachten, wenn die ätherischen Klänge des Anfangs mit bemerkenswerter Klangschönheit dargeboten werden, die sogar Raum für kleine Portamenti lässt (die das Quartett ohnehin gerne und stets geschmackvoll einzusetzen versteht). Die Gegensätze dieses Satzes begreift das Ensemble dabei organisch, setzt nicht auf bedingungslose Kontraste, sondern betont eher die Gleichzeitigkeit verschiedener Charaktere (etwa ab Takt 119). Und schließlich kommt die Vielseitigkeit und Flexibilität des Quartetts nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass sowohl die agilen, virtuosen Sätze 2 und 4 mit viel Sinn für Groteske im Scherzo und eindrucksvoller spielerischer Leichtigkeit im Finale vorzüglich gestaltet werden, andererseits aber auch die tiefe Ruhe des langsamen 3. Satzes ausgezeichnet inszeniert wird. Man beachte etwa das bewusste Nachvollziehen der harmonischen Verläufe und der melodischen Linien des Beginns, das allmähliche Aufblühen der Musik, oder auch den intensiv zelebrierten C-Dur-Höhepunkt kurz vor Ende des Satzes. Der knappe Begleittext, geschrieben vom Animato-Quartett selbst, könnte mehr Details (zu den Werken selbst und in seinen Argumentationen und Einordnungen) vertragen, ausgezeichnet dann wieder die Klangqualität des Albums. Summa summarum ein hervorragend gelungenes Debüt des jungen Ensembles.
Holger Sambale [19.11.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
| Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
|---|---|---|
| CD/SACD 1 | ||
| Anton Webern | ||
| 1 | Langsamer Satz op. 5 für Streichquartett – Langsam mit bewegendem Ausdruck | 00:10:05 |
| Béla Bartók | ||
| 2 | Streichquartett Nr. 1 op. 7 Sz 40 BB 52 | 00:30:29 |
| Benjamin Britten | ||
| 5 | Streichquartett Nr. 1 D-Dur op. 25 | 00:27:30 |
Interpreten der Einspielung
- Animato Quartet (Streichquartett)
