The Juliet Letters
Malion Quartett • Karsten Schmidt-Hern

Kaleidos KAL 6376-2
1 CD • 65min • 2025
24.07.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
1993 erschien das Album The Juliet Letters, das der englische Rock- und Pop-Sänger Elvis Costello gemeinsam mit dem klassischen Brodsky Quartet geschaffen hatte und das damals eine kleine Sensation in der Musikwelt auslöste. Zu den frühen Fans auf der ganzen Welt zählte auch der spätere Sänger Karsten Schmidt-Hern, der die Lieder nach eigener Aussage „obsessiv“ anhörte und noch Jahre danach fast auswendig konnte. Drei Jahrzehnte später hat er sich den Jugendtraum erfüllt, den Zyklus mit dem Frankfurter Malion Quartett erneut einstudiert und nach einigen öffentlichen Auftritten in einer Studio-Produktion aufgenommen, die sich mit dem Original durchaus messen kann.
Briefe an eine Bühnenikone
The Juliet Letters sind inspiriert von einer Sammlung echter Briefe an Shakespeares Julia, die von Menschen (überwiegend jungen Frauen) an der „Casa di Giulietta“ in Verona abgegeben oder per Post an „Julia, Verona“ gesandt wurden. Meist fragten sie um Rat auf der Suche nach dem richtigen Partner. Dieser Aspekt war für Costello und die Brodsky-Musiker aber nur von untergeordnetem Interesse. Ihre Lieder handeln eher von den traurigen Aspekten der Liebe. Eifersucht und Treuebruch, unerwiderte Gefühle und Verlustängste, Abschiedsstimmungen sind in dieser Textauswahl die wiederkehrenden Themen. Des Weiteren: Ein Kind leidet unter der Trennung der Eltern, eine ältere Tante antwortet sarkastisch auf den Bettelbrief ihres Neffen, jemand träumt von einer Zeitmaschine, die vergangene Berühmtheiten wieder zum Leben erweckt. Was an diesen Texten authentisch ist, was der dichterischen Phantasie des Autors entsprungen, ist nicht auszumachen.
Statt Crossover Klassik pur
„Eine Liederfolge für Streichquartett und Stimme“ ist Costellos Gattungsbezeichnung für seine in dieser Form neuartige Komposition und er fügt hinzu: „Und sie hat einen Titel“. Von einem „Vokalquintett“ sprach ein Musiker der Brodskys in einer Doku. Mit dem landläufigen „Crossover“, wo eine klassische Sauce über den Pop-Gesang gegossen wird, hat das nichts zu tun. Wir erleben Klassik pur, vom Formaufbau her, der an die großen Liedzyklen des 19. Jahrhunderts anschließt, bis zur engen Durchdringung von Gesang und instrumentaler Verdichtung. In Vor-, Nach- und Zwischenspielen entwickelt sich Kammermusik vom Feinsten, die aber immer in enger Beziehung zu den gesungenen Inhalten steht. Klassik verbindet sich mit Pop, Rock, Jazz und Volksmusik zu etwas eigenständig Neuem. Dabei wechseln sich burleske mit melancholischen Grundstimmungen ab.
Erfolgreicher Späteinsteiger
Der Werdegang von Karsten Schmidt-Hern, dem Initiator dieser Neuauflage, verdient besondere Erwähnung. Zur Gitarre gesungen hat er wohl seit seiner Jugend, dann aber – aus einer Juristenfamilie kommend – die Laufbahn eines Wirtschaftsanwalts eingeschlagen. Zu seinem 40. Geburtstag schenkte ihm seine Frau acht Gesangsstunden bei dem Bariton Holger Falk, die ihn so animierten, dass er sie fortsetzte, später auch bei Falks Lehrer Neil Semer (aus dessen Schule auch Barbara Hannigan kommt). Mit 50 entschloss er sich dann, den Anwaltsberuf an den Nagel zu hängen und sich ganz als freiberuflicher Sänger zu betätigen. Und da macht er, nach dem Eindruck dieses Albums, keine schlechte Figur. Er besitzt eine zwischen Bariton und Tenor changierende Stimme, die er mit Ausdruckswillen gelegentlich an die Grenzen der Belastbarkeit führt. Den Vortragsstil von Elvis Costello hat er buchstäblich inhaliert, versucht ihn aber nicht nachzuahmen, sondern nutzt die Möglichkeiten des klassisch ausgebildeten Sängers. Das Idiom der Texte trifft er genau, aber auch den Wechsel der Stimmungen. Bei der Wahl seiner instrumentalen Mitstreiter hatte er besonderes Glück. Das Frankfurter Malion Quartett – Alex Jussow, Miki Nagahara (Violine), Lilya Tymchyshyn (Viola), Bettina Kessler (Cello) – überzeugt durch schillernde klangliche Präsenz, scharfe rhythmische Artikulation und emotionale Tiefe.
Ekkehard Pluta [24.07.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Elvis Costello | ||
1 | The Julit Letters (A Song Sequence for String Quartet and Voice) | 01:04:48 |
Interpreten der Einspielung
- Karsten Schmidt-Hern (Bariton)
- Malion Quartett (Streichquartett)