Ernst Gernot Klussmann
Piano Quintett E Minor op. 1 | String Quartet no. 1 op. 7
Kuss Quartett | Péter Nagy

eda records 055
1 CD • 64min • 2024
27.07.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Zum 75-jährigen Bestehen der Hochschule für Musik und Theater (HfMT) Hamburg erinnert man sich nun endlich seines langjährigen Vizepräsidenten und Professors für Komposition, Ernst Gernot Klussmann (1901–1975). Aus der Hansestadt stammend, hatte der junge Musiker u. a. zunächst dort bei Felix Woyrsch und Ilse Fromm-Michaels, später in München bei Joseph Haas studiert und war über Lehrtätigkeiten in Köln 1942 nach Hamburg zurückgekehrt. Nach dem Krieg musste er um seine Rehabilitation kämpfen. Dass Klussmanns Musik beim NSDAP-Eintritt 1933 – wohl nur, um seine junge Familie zu schützen – weit entfernt von jeglicher Nazi-Ästhetik war, beweist recht eindeutig das hier erstmals eingespielte 1. Streichquartett von 1930, nachdem die Presse bereits 1928 das Orgelkonzert zwar nicht als entartete, aber „entwurzelte Kunst“ diffamiert hatte.
Spätromantisches Frühwerk
Im Klavierquintett e-Moll op. 1 von 1925 zeigt sich Klussmann noch ganz der Spätromantik verpflichtet, steht damit allerdings längst nicht mehr in der damals noch vorherrschenden Ausbildung einer unreflektierten Brahms-Nachfolge. Klar beherrscht der junge Komponist technisch und klanglich das Genre souverän und evoziert hier eine Dramatik, die weit mehr an Mahler orientiert ist und neben emotionalem Druck zudem hübsche kontrapunktische Arbeit bietet – nicht nur beim etwas einfältigen, dennoch feinen Fugato im Finale. Die Darbietung durch das Kuss Quartett und den Pianisten Péter Nagy unterstreicht die fast symphonische Größe, klangliche Wucht sowie die überzeugenden Spannungsverläufe des Werks, kann freilich nicht über eine klare Schwäche hinwegtäuschen: Es mangelt dieser Musik gänzlich an zündenden melodischen Einfällen. Zu viele diatonische Sekundbewegungen erreichen kaum Prägnanz, so dass über Strecken der Eindruck „Viel Lärm um nichts“ entstehen mag.
Streichquartett mit expressionistischer Prägung
Nur wenige Jahre später sieht dies völlig anders aus. Das fünfsätzige 1. Streichquartett führt den Hörer in eine hochexpressionistische Welt, die noch am ehesten mit Schönbergs und Zemlinskys zweiten Quartetten oder dem ersten Gattungsbeitrag des gleichaltrigen Hans Erich Apostel vergleichbar ist und nicht nur handwerklich auf höchstem Niveau steht. Zwar ist im anfänglichen, ergreifenden Adagio noch cis-Moll als Ausgangstonart erkennbar; im Verlauf befreit sich Klussmann dann jedoch zunehmend von tonalen Bezügen. Neben einem herrlich skurrilen Marsch im 7/4-Takt und der einsamen Fantasia des 4. Satzes wirkt die fast allgegenwärtige, erneut geschickte Kontrapunktik nun geradezu phantastisch – besonders im Fugato des Finales (Track [09], ab 4‘12‘‘). Dieses Quartett ist ein Meisterwerk intelligenter, kompromissloser Klangrede, und es gelingt dem Kuss Quartett auf zwingende Weise, dies unmissverständlich herüberzubringen.
Diese Veröffentlichung weckt hoffentlich weiteres Interesse
Die Aufnahmetechnik dieser späten Debüt-CD ist ebenfalls nahezu perfekt. Beim informativen Booklettext hätte man sich die ausführliche Rechtfertigung des „Persilscheins“ für den Komponisten eigentlich sparen und etwas tiefer auf die präsentierten Werke eingehen können. Trotz der Hinwendung zur Schönbergschen Zwölftonmethode ab ca. 1950 blieb Klussmann im Herzen ein Romantiker, so dass solche Musik im Nachkriegsdeutschland wenig Chancen hatte. Aus heutiger Sicht gäbe es da aber offenkundig noch einiges zu entdecken, etwa Opern und zehn Symphonien. Wenn davon nur ein paar Werke die Qualität des 1. Streichquartetts aufwiesen, wäre dies allemal eine „Ausgrabung“ wert. So liefert diese CD für den Anfang ein immerhin äußerst bemerkenswertes Plädoyer.
Martin Blaumeiser [27.07.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ernst Gernot Klussmann | ||
1 | Klavierquintett e-Moll op. 1 | 00:33:55 |
5 | Streichquartett Nr. 1 op. 7 | 00:30:09 |
Interpreten der Einspielung
- Kuss Quartett (Streichquartett)
- Péter Nagy (Klavier)