Schwarze Erde
Lieder von Bartók, Schumann, Kodály und Berg
Solo Musica SM 435
1 CD • 55min • 2023
24.04.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die junge, derzeit in Nürnberg engagierte Mezzosopranistin Corinna Scheurle, ist Deutsch-Ungarin und zweisprachig aufgewachsen. Hier präsentiert sie gemeinsam mit der Pianistin Klara Hornig ein Programm, das die ungarischen Komponisten Béla Bartók und Zoltán Kodály, die das Kunstlied als Gattung aus dem Geiste der Volksmusik erneuerten und ins 20. Jahrhundert führten, mit Liedern ihres Zeitgenossen Alban Berg und solchen des romantischen Liedmeisters Robert Schumann konfrontiert und in sinnreiche Verbindungen bringt.
Bartók vs Schumann
Die „Schwarze Erde“, die dem Album den Titel gibt, ist der Humus, auf dem das Volkslied gedeiht. Béla Bartók sammelt in dem kleinen Zyklus Acht ungarische Volkslieder, entstanden zwischen 1907 und 1917, Impressionen aus dem harten Leben auf dem Lande. Die ersten fünf Lieder sprechen Frauenschicksale an, besonders das Leiden an und unter den Männern, die letzten drei die Klagen junger Männer, die von ihren Familien und ihrer Arbeit am Pflug in den Kriegsdienst für Kaiser Franz Joseph gepresst werden. Bartók war ein Gegner der k. u. k. Monarchie. Die Adaption der originalen Melodien ist äußerst eindrucksvoll, weil der Klavierpart, der nach dem Willen des Komponisten „die verlorene Wiese und das verlorene Dorf ersetzen“ soll, sehr farbig und emotional nachdrücklich ausgeführt ist. 1929 hat Bartók diesen Zyklus bei His Masters Voice selbst eingespielt, mit der legendären Altistin Maria Basilides und dem Tenor Ferenc Székelyhidy.
Robert Schumanns 5 Lieder op. 40 weisen thematisch Parallelen zu Bartóks Liedern auf. Schumann schlägt darin einen romantischen Volkston à la Wunderhorn an. Er hat sie „H. C. Andersen in Kopenhagen zugeeignet“. Der berühmte Märchendichter war, was heute kaum noch bekannt ist, zu seiner Zeit auch ein bedeutender Lyriker. Adalbert von Chamisso traf den dänischen Dichter 1831 und übersetzte einige seiner Gedichte ins Deutsche. Vier davon hat Schumann in op. 40 aufgenommen, ergänzt durch Chamissos Adaption eines griechischen Volkslieds.
Kodály vs Berg
Nicht aus dem riesigen Fundus gesammelter Volkslieder Zoltán Kodálys stammen die Verspäteten Melodien, die Bestandteil der Sieben Gesänge op. 6 sind. Vielmehr handelt es sich um echte Kunstlieder auf Texte der ungarischen Romantiker Dániel Berszenyi und Ferenc Kölcsey. Sie entstanden in den Jahren 1912 bis 1916 und gelten als eine Liebeserklärung an Emma Schlesinger, die erste Frau Kodálys, mit der er bis zu ihrem Tod 48 Jahre verheiratet war. Desto überraschender der melancholische, oft sogar triste Charakter der Lieder. Sie handeln von Einsamkeit, Vergänglichkeit und Niedergang, lediglich der vierte Titel Frühling lässt dazwischen so etwas wie Hoffnung und Freude aufkommen. Die musikalischen Mittel sind lapidar im Melodischen und sehr sparsam in der Klavier-Begleitung, treffen gerade dadurch die Atmosphäre der Texte genau.
Alban Bergs Vier Lieder op. 2, 1909/10 noch während seiner Lehrzeit bei Arnold Schönberg entstanden, sind typische Produkte des Fin de Siècle, stehen mit einem Fuß noch in der Spätromantik, markieren jedoch harmonisch, aber auch in der Wahl der Texte bereits den Aufbruch in die Moderne. Auf einen lyrischen Text Friedrich Hebbels folgen drei eher kryptische Gedichte des seinerzeit sehr bekannten Berg-Zeitgenossen Alfred Mombert, der sich als literarischer Eigenbrötler zwischen allen damals gängigen Stilen bewegte.
Unverstellter Herzenston
Corinna Scheurle, ebenbürtig assistiert von der Pianistin Klara Hornig, wird allen vier Komponisten in gleichem Maße gerecht. Beide Künstlerinnen zeigen Sensibilität für ihre stilistischen Eigenarten, treffen auch das Idiom der Volkslieder genau, wobei die Sängerin nicht nur eine helle Mezzostimme von herber Schönheit einsetzen kann und über eine reiche Ausdruckspalette von Zärtlichkeit bis Verzweiflung verfügt, sondern auch etwas besitzt, was man nicht lernen kann: den unverstellten Herzenston, der hier – nicht nur in den ungarischen Liedern – den Hörer unmittelbar berührt.
Ekkehard Pluta [24.04.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Béla Bartók | ||
1 | Fekete föd Sz 64 Nr. 1 (Schwarz die Erde) | 00:01:24 |
2 | Istenem, Istenem Sz 64Nr. 2 (Mein Gott, lass die Wasser schwellen) | 00:01:34 |
3 | Asszonyok, asszonyok Sz 64 Nr. 3 (Frauen, lasst mich eure Gesellin sein) | 00:00:54 |
4 | Annyi bánat Sz 64 Nr. 4 (All das Leid) | 00:01:14 |
5 | Ha kimegyek Sz 64 Nr. 5 (Wenn ich hinaufsteige auf den hohen Berg) | 00:01:08 |
6 | Töltik a nagyerdö útját Sz 64 Nr. 6 (Sie füllen den großen Waldweg) | 00:01:41 |
7 | Eddig való dolgom Sz 64 Nr. 7 (Bisher war meine Aufgabe das Pflügen) | 00:01:49 |
8 | Olvad a hó Sz 64 Nr. 8 (Der Schnee schmilzt) | 00:01:08 |
Robert Schumann | ||
9 | Märzveilchen op. 40 Nr. 1 | 00:01:25 |
10 | Muttertraum op. 40 Nr. 2 | 00:03:01 |
11 | Der Soldat op. 40 Nr. 3 | 00:02:34 |
12 | Der Spielmann op. 40 Nr. 4 | 00:03:22 |
13 | Verratene Liebe op. 40 Nr. 5 | 00:00:56 |
Zoltán Kodály | ||
14 | Magányosság op. 6 Nr. 1 (Einsamkeit) | 00:03:35 |
15 | Levéltöredék barátnémhoz op. 6 Nr. 2 (Brieffragment) | 00:05:37 |
16 | Az élet dele op. 6 Nr. 3 (Teil des Lebens) | 00:05:26 |
17 | A tavasz op. 6 Nr. 4 (Der Frühling) | 00:02:42 |
18 | Búsan csörög a lomb op. 6 Nr. 5 (Traurig braust der Wald) | 00:03:27 |
19 | Elfojtódás op. 6 Nr. 6 (Ersticken) | 00:03:42 |
Alban Berg | ||
20 | Schlafen, schlafen op. 2 Nr. 1 (1910) | 00:03:13 |
21 | Schlafend trägt man mich op. 2 Nr. 2 (1910) | 00:01:09 |
22 | Nun ich der Riesen Stärksten überwand op. 2 Nr. 3 (1910) | 00:00:58 |
23 | Warm die Lüfte op. 2 Nr. 4 (1910) | 00:02:51 |
Interpreten der Einspielung
- Corinna Scheurle (Mezzosopran)
- Klara Hornig (Klavier)