Vivaldi Bassoon Concerti
Sophie Dervaux • La Folia Barockorchester
Berlin Classics 0303241BC
1 CD • 11min • 2023
26.04.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Sophe Dervaux, Gewinnerin des 2. Preises im ARD-Wettbewerb 2013 und Solofagottistin in Wien macht sich auf die Reise, alle Fagottkomzerte Antonio Vivaldis auf CD einzuspielen. Von allen Blasinstrumenten hat Vivaldi das Fagott mit 39 Werken am reichsten bedacht. Das ist eher ungewöhnlich, da dieses im italienischen Barock vorwiegend zur Verstärkung des Generalbasses eingesetzte Instrument, ansonsten eher in Frankreich und Deutschland obligate Verwendung in Ouvertüren-Suiten (Trios von Tanzsätzen) und paarweise in Arien konzertierend in Werken von Bach (h-Moll Messe und Telemann (u. a „Seliges Erwägen“, f-Moll-Sonate) fand. Möglicherweise erinnerte sich der Komponist aber an venezianische Canzonen und Ensemblesonaten mit konzertierendem Bassinstrument à la Girolamo Frescobaldi oder Giovanni Battista Fontana, die ebenfalls virtuose Partien für den Bassdulzian, den Vorläufer des Fagotts, enthalten.
Geigerisches für Bläser
Antonio Vivaldi, der – zeitlebens Asthmatiker – bereits als Säugling mit Atemproblemen zu kämpfen hatte und deshalb die Nottaufe erhielt, hat wahrscheinlich nie ein Blasinstrument erlernt. Dies merkt man nahezu allen seinen Bläserwerken an, deren virtuose Abschnitte mit ihren wie in der Minimal Music vielfach wiederholten Akkordbrechungen absolut geigerisch inspiriert sind. Auf der Geige erfordern sie einen Akkordgriff in der linken Hand während man den Bogen dann über drei oder vier Saiten springen lassen kann. Auf Blasinstrumenten führen die dafür nötigen Fingerbewegungen bei annähernd gleichbleibender Figuration leicht zu Ermüdungserscheinungen und Verkrampfungen, weshalb hier vor allem auf Lockerheit und Koordination mit der (Doppel)-Zunge hingearbeitet werden muss. Da diese Passagen häufig recht lang und einförmig sind, muss gleichzeitig auf Konzentration und Atemkapazität geachtet werden. Fehlt eines von beiden, leiden entweder die Intonation oder die musikalische Spannung. Ebenfalls stellen unbequem liegende schnelle Tonleiterbewegungen so manches grifftechnische Problem, das etwa bei Telemann oder Bach, die selbst Blasinstrumente erlernt hatten, niemals auftreten würde.
Klanglich heikel kann es werden, wenn das Fagott die Bass-Linie der Ritornelle, die in der Stimme notiert ist, bei zu schwacher Besetzung der Violinen mitspielt, da diese hier fast immer das musikalische Hauptgeschehen tragen. Die Dresdner Hofkapelle hatte dies bereits erkannt und verdoppelte die Violinen deshalb in französischer Praxis mit Traversflöten oder Oboen, was Sergio Azzolini in der letzten Folge seiner Gesamtaufnahme erfolgreich wiederbelebte.
Versierte Interpretation, scheußliches Booklet
Ich bin immer skeptisch, wenn der Name des Interpreten – so es sich nicht um ein „gemischtes Programm“ handelt – größer auf dem Cover erscheint als derjenige des Komponisten und das Orchester nochmals kleiner dargestellt wird. Kommt ein hagiographischer Booklet-Text hinzu, der die Tatsache, dass Frau Dervaux nach nur einem Jahr Unterricht ihr erstes Vivaldi-Konzert spielen konnte – hatte sie sich vielleicht vorher bereits an einem der Blockflötenkonzerte versucht? – in die Nähe Mozarts rückt, ist für mich der Bogen weit überspannt. Zudem ist es schlampige Recherche, J. S. Bach „über 20“ Bearbeitungen Vivaldischer Konzerte zuzuschreiben, wenn es nun mal nur 11 sind.
Dabei sind ihre fagottistischen Fähigkeiten durchaus beachtlich. Allerdings war es aus Balance-Gründen keine besonders intelligente Idee, ein modernes Fagott mit einfach besetzten Barock-Streichern zu kombinieren, die in moderner Orchesterstimmung einfach dünn klingen müssen. Wenn die Solistin die Bass-Linie der Ritornelle noch zusätzlich verstärkt, bleibt von den beiden einsamen Geigen nicht mehr viel übrig. Selbstverständlich bläst Frau Dervaux die Werke ausgesprochen tonschön, klanglich variabel und intonationssicher. Allerdings fehlt mir der klangliche Unterschied von offenen und mit Gabelgriffen erzeugten Tönen des Barockfagotts. Wenn man schon ein modernes Instrument einsetzt, könnte man in den langsamen Sätzen wesentlich exzessiver verzieren, eine Praxis die die damaligen italienischen Musiker in Vollendung beherrschten, wie die vielen Ornamentierungen von Arcangelo Corellis op. 5 beweisen.
Fazit: Bläserisch eleganter Auftakt einer Gesamtaufnahme der Fagott-Konzerte Vivaldis, bei der jedoch dringend die Balance nachjustiert gehört. In dieser Form keine Gefährdung der Referenzaufnahme Sergio Azzolinis. Für den lapidaren Booklet-Text habe ich mir einen Punktabzug gestattet.
Thomas Baack [26.04.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Antonio Vivaldi | ||
1 | Fagottkonzert C-Dur RV 474 | 00:09:20 |
4 | Fagottkonzert a-Moll RV 497 | 00:11:23 |
7 | Fagottkonzert d-Moll RV 481 | 00:10:48 |
10 | Fagottkonzert B-Dur RV 501 (La notte) | 00:12:29 |
14 | Fagottkonzert e-Moll RV 484 | 00:09:20 |
17 | Fagottkonzert C-Dur RV 473 | 00:09:20 |
Interpreten der Einspielung
- Sophie Dervaux (Fagott)
- La Folia Barockorchester (Barockensemble)