Tōru Takemitsu
Spectral Canticle
BIS 2655
1 CD/SACD stereo/surround • 54min • 2022
17.06.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Toru Takemitsu (1930-1996) ist bis heute unbestritten der wichtigste japanische Komponist. Anfangs vor allem durch französische Musik beeinflusst, probierte er ab den 1950ern so ziemlich alle Avantgarde-Techniken aus, integrierte bald auch typisch japanische Instrumente wie Biwa oder Shakuhachi in klassische Besetzungen. Seine Orchestermusik ist von enormer Farbigkeit und Sensibilität; ihr Wohlklang ab den späten 1970er Jahren erinnert stark an Berg, Messiaen oder Dutilleux. Auf Tonträgern ist die Musik des Komponisten bestens dokumentiert: So brachte Shogakukan bereits 2002 eine Gesamtaufnahme auf 58 CDs heraus.
Tiefe Einblicke in Takemitsus Spätwerk
Die neue BIS-Veröffentlichung bringt vier Spätwerke des Japaners, die den Zeitraum zwischen 1983 und 1995 umspannen. Bei den drei quasi konzertanten Stücken ist jeweils die Gitarre beteiligt, eines der Lieblingsinstrumente Takemitsus. To the edge of dream gehört mittlerweile zu den meistgespielten Gitarrenkonzerten des 20. Jahrhunderts und wurde sofort von den bedeutendsten Solisten ins Repertoire aufgenommen, darunter Julian Bream oder John Williams. Der junge schwedische Gitarrist Jacob Kellermann – er studierte u.a. bei Franz Halász in München – kann es mühelos mit diesen Größen aufnehmen, spielt mit unerhörter Klangschönheit und Empathie. BBC Philharmonic begleitet unter dem Schweden Christian Karlsen (Jahrgang 1985) – ein Spezialist für Neue Musik – umsichtig, dezent und ebenfalls mit ausgeprägtem Gespür für Takemitsus feine Instrumentationskunst. Aufnahmetechnisch ist BIS mal wieder jeglicher Konkurrenz deutlich überlegen. Was Durchsichtigkeit und Räumlichkeit betrifft, ist das Klangbild natürlicher als die etwas zu trockene Einspielung von Bream und Rattle (EMI), die – man hatte da sämtliche Lizenzen für die seinerzeit „besten“ Aufnahmen erworben – in besagter Shogakukan-Edition enthalten ist.
Zwei wunderbare Doppelkonzerte
Im Gegensatz zum Gitarrenkonzert gab es von Spectral Canticle bislang wohl nur eine kommerzielle Aufnahme. Das Stück für Violine, Gitarre und Orchester ist eine subtile Anspielung auf Emily Dickinsons Gedicht Further in Summer than the Birds, nutzt gekonnt die fast gegensätzlichen, spezifischen klanglichen Möglichkeiten der beiden Soloinstrumente, die in einen reizvollen Dialog treten. Auch hier gelingt Karlsen eine klare, unprätentiöse Wiedergabe; insbesondere überzeugt jedoch die deutsche Violinistin Viviane Hagner. Bei Vers, l’arc-en-ciel, Palma – das im Unterschied zum Titel der Gouache Joan Mirós zusätzliche Komma soll anscheinend auf die Doppeldeutigkeit von vers im Französischen hinweisen – tritt die Oboe d’amore (Juliana Koch) erst ab ungefähr der Mitte des Stücks solistisch hinzu. Die London Sinfonietta unter Esa-Pekka-Salonen kostet hier die Farbigkeit etwas besser aus als Karlsen, der jedoch insgesamt auf höchstem Niveau agiert.
Gedenken an Morton Feldman
Twill by Twilight schließlich ist – ein Jahr nach dessen Tod – dem Gedenken an den US-Komponisten Morton Feldman gewidmet. Dieser hatte sich in seinem Spätwerk ausdrücklich mit gewebten Stoffen („twill“) beschäftigt. Takemitsus Trauergesang ist so eine Hommage an den geschätzten Kollegen, dunkler timbriert als die anderen hier dargebotenen Stücke, ebenso spürbar dramatischer. Unter den nicht wenigen Einspielungen zeichnet Karlsens Lesart einerseits eine besondere Ruhe aus, zum anderen sehr organisch wirkende, effektive Steigerungen auf die Kulminationspunkte hin. Einziger Kritikpunkt an dieser ganz hervorragenden CD: Hier wäre durchaus noch Platz für ein weiteres Stück aus Takemitsus herrlichem Orchesterschaffen gewesen, aber vielleicht gibt es da ja irgendwann mal einen Nachschlag.
Vergleichsaufnahmen: [Spectral Canticle] Yuzuko Horigome, Daisuke Suzuki, Tokyo Metropolitan SO, Ryusuke Numajiri (Denon COGQ-16, 1996); [To the edge of dream] Julian Bream, City of Birmingham SO, Simon Rattle (EMI 0777 7 54661 2 6, 1992); [Vers, l'arc-en-ciel, Palma] John Williams, Gareth Hulse, London Sinfonietta, Esa-Pekka Salonen (Sony SK 46720, 1989); [Twill by Twilight] Tokyo Metropolitan SO, Ryusuke Numajiri (Denon CO-18032, 1996).
Martin Blaumeiser [17.06.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Toru Takemitsu | ||
1 | Spectral Canticle für Violine, Gitarre und Orchester | 00:15:57 |
2 | To the edge of dream für Gitarre und Orchester | 00:11:08 |
3 | Vers, l'arc-en-ciel, Palma für Oboe d'amore, Gitarre und Orchester | 00:12:10 |
4 | Twill by Twilight für Orchester (in memory of Morton Feldman) | 00:13:25 |
Interpreten der Einspielung
- Jakob Kellermann (Gitarre)
- Viviane Hagner (Violine)
- Juliana Koch (Oboe d'amore)
- BBC Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Christian Karlsen (Dirigent)