Melcher Melchers
Symphony • La Kermesse • Élégie
Ondine ODE 1418-2
1 CD • 61min • 2022
27.07.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Zu einer Zeit, als der zentrale Bezugspunkt des schwedischen Musiklebens noch Deutschland war, zog es den jungen Melcher Melchers (1882–1961), der damals noch Henrik Melcher Svensson hieß, nach Paris, zumal er zunächst zwischen einer Karriere als Musiker oder als bildender Künstler schwankte. So lebte und wirkte er von 1905 bis 1919 im Künstlerviertel Montparnasse, und die Schar von Persönlichkeiten, mit denen er dort verkehrte, liest sich illuster (u.a. Picasso, Modigliani, Matisse, Apollinaire, Satie und Tailleferre). Nach seiner Rückkehr nach Schweden führte er ein unspektakuläres Leben, vor allem als Kompositionslehrer (u.a. von Erland von Koch). Sein kompositorisches Schaffen ist schmal; nach einigen Liedern und Klavierstücken entstanden alle seine größeren Werke zwischen 1914 und 1931, danach verstummte er offenbar im Wesentlichen. Eine Handvoll seiner Werke ist auf CD eingespielt worden, und auf der vorliegenden neuen Ondine-CD ergänzt das Sinfonieorchester Gävle unter der Leitung von Jaime Martín die Diskographie um zwei sinfonische Dichtungen, gefolgt von seiner einzigen Sinfonie.
Skandinavische Musik mit französischer Note
Wie angesichts seiner Vita kaum anders zu erwarten, besitzt Melchers’ Musik eine deutlich französische Note, wobei der wesentliche Einfluss allerdings nicht seine Zeitgenossen und Bekannten sind, sondern eher die Musik von César Franck und Schülern und in geringerem Maße des (frühen) Impressionismus. Davon zeugt bereits La Kermesse, einer dem gleichnamigen Gemälde von Rubens nachempfunden sinfonischen Dichtung, mit der die CD beginnt. Hier wird zum Tanz aufgespielt, ein fröhlich-rustikaler Reigen im Dreiertakt, ausgesprochen farbig orchestriert. Später erfährt die Szenerie einige Verwandlungen, so etwa Turbulenzen in Form eines aus dem Hauptthema hervorgehenden chromatisch getönten Fugatos, Momente stiller Andacht mit Choralanklängen und kurz vor Wiederaufnahme des Beginns auch ein Prise Komik, wenn zwei offenbar nicht mehr ganz nüchterne Fagotte ein leicht schwankendes Duett vortragen, all dies eher in Form eines bunten Bilderbogens als dramatisch akzentuiert. Obwohl beide Werke zeitgleich entstanden, also in den Jahren 1919/20, ist der Kontrast zur Elégie op. 15 erheblich: als Gedenkwerk für seine Mutter konzipiert, baut dieses Werk wesentlich auf fahlen Akkordfolgen auf, während sich das in der Kermesse noch so zentrale Melos hier eher auf Melodiefragmente beschränkt, klagende Gesten, die schnell wieder abebben. Und auch, wenn aus der tastenden Akkordik eine Art Wiegenlied entsteht, das speziell gegen Ende Trost spendet, bleibt es eine Musik der Andeutungen, eher skizziert als breit ausgeführt.
Attraktive, wohlorchestrierte Musik
Auch Melchers’ Sinfonie d-moll op. 19 (1924/25) ist letztlich ein vorwiegend lyrisches Werk, eher eine Folge von Tonbildern als musikalische Architektonik, einmal mehr geprägt durch die volle, ausgesprochen gekonnte und wohlklingende Orchestrierung und einen reichen, kontrapunktischen Satz. Wegen der Kombination von französischen Einflüssen und einer spätromantisch grundierten Tonsprache ist Melchers zu seiner Zeit eher als Außenseiter im schwedischen Musikleben wahrgenommen worden. Andererseits: selbst blind gehört würde man speziell den ersten Satz letztlich eben doch im Skandinavien der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts verorten (man beachte etwa die folkloristischen Anklänge gleich im Hauptthema oder die Blechbläsergesten, die an Sibelius denken lassen), während das festliche, effektvolle Finale in D-Dur auch in der Franck-Nachfolge seinen Platz finden könnte (in diesem Zusammenhang wären sicher auch die dreisätzige Struktur und das Englischhorn-Solo im zweiten Satz zu nennen, während zyklische Prinzipien keine Rolle zu spielen scheinen – dies allerdings ohne Kenntnis der Partitur). Es spricht für Melchers, dass die Sinfonie trotzdem nicht disparat wirkt. Attraktive, eingängige Musik (sehr eindrucksvoll etwa die majestätische Klimax in der Coda des Kopfsatzes, die dann aber in einen leisen, sanft glühenden Schluss mündet), vergleichbar mit der in etwa zeitgleich entstandenen Sinfonie des Norwegers Alf Hurum, der bezeichnenderweise ebenfalls eine künstlerische Ader besaß.
Gediegene Interpretationen, informativer Begleittext
Die Sinfonie ist vor gut zwanzig Jahren bereits einmal unter der Leitung von Mats Rondin für Phono Suecia eingespielt worden; die Unterschiede zwischen beiden Aufnahmen sind verhältnismäßig gering. Rondin sorgt im (manchmal leicht episodischen) ersten Satz durch eine leicht straffere Gangart für etwas mehr Richtung, während die kantablen Linien des zweiten Satzes unter Martín intensiver ausgesungen werden. Mit beiden Einspielungen ist man insgesamt sehr gut bedient, und generell zeugt die neue CD vom hohen Niveau des Orchesters aus Gävle. Ein weiterer Pluspunkt ist der ausführliche, informative Begleittext von Stig Jacobsson. Eine schöne CD, die sich Freunde skandinavischer Sinfonik des frühen 20. Jahrhunderts nicht entgehen lassen sollten.
Holger Sambale [27.07.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
H Melcher Melchers | ||
1 | La Kermesse (Poème symphonique d'après le tableau de Rubens) | 00:13:05 |
2 | Élégie op. 15 (Poème symphonique) | 00:10:45 |
3 | Sinfonie d-Moll op. 19 | 00:36:30 |
Interpreten der Einspielung
- Gävle Symphony Orchestra (Orchester)
- Jaime Martín (Dirigent)