Armenian Cello Concertos
Khatchaturian Babajanian Petrossian
BIS 2648
1 CD/SACD stereo/surround • 69min • 2022
19.08.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Drei armenische Cellokonzerte: eines vom großen ‚Klassiker der Moderne‘ Aram Khatschaturian, eines vom Allrounder Arno Babadschanian, und ein heutiges Werk, viel knapper, vom in Paris heimischen Weltbürger Michel Petrossian – das ist ein so pittoreskes wie anspruchsvolles und bewegendes Programm. Natürlich ist Khatschaturians 1946 entstandenes Konzert mit Abstand am bekanntesten und wurde vielfach eingespielt, doch unter seinen drei Konzerten ist es sowohl trotzdem das am seltensten zu hörende und zugleich dasjenige, das er selbst am meisten mochte.
Verschmelzung des Mondänen mit dem Archaischen
Dass der Komponist von seinem Werk so viel hielt, wird schnell verständlich: Es ist jene einzigartige Verschmelzung des Mondänen mit dem Archaischen, was den großartigen Reiz von Khatschaturians Tonsprache ausmacht, und man hat ihn eigentlich bei aller Popularität nicht nur im Westen nie verstanden, sondern sogar sehr gering geschätzt, als billig und trivial belächelt. Nun ist aber beispielsweise sein so berühmtes Spartacus-Adagio ein einzigartiger Geniestreich, und jene eigentümliche Verschränkung von melismatisch schlängelndem Kontrapunkt mit bitonalen Einfärbungen und herrlich farbenreichen Dissonanzen im scheinbar simplen Fadenkreuz von Diatonik und Chromatik ist auch ganz unverkennbar in seinem Cellokonzert. Dass das alles so deutlich zu hören, so in der Tiefentransparenz mitverfolgbar ist, liegt vor allem an der phänomenalen Aufnahmetechnik und Abmischung, für welche allein Marcel Babazadeh verantwortlich zeichnet – auf erwartet exklusivem BIS-Standard.
Könnte organischer sein
Wenn mir allerdings sonst immer der herrlich elegische langsame Mittelsatz am besten gefallen hatte, so profitiert hier ganz besonders der Kopfsatz, aber auch das Finale von den ‚Röntgenaugen‘ des Produzenten. Im Mittelatz hingegen stellt sich nicht ganz jenes frei schwingende, natürlich mäandernde Schweben ein, das wie das Improvisieren eines Aschuchs scheinen kann – vielleicht war man einfach zu sehr auf Perfektion bedacht und hat die Sache nicht so unbekümmert fließen lassen wie unbedingt wünschenswert. Und was die Gestaltung betrifft, gibt es vor allem zwei Punkte, wo noch Spiel nach oben ist: erstens können Tempo- und Dynamikveränderungen viel organischer realisiert werden, ob es nun zu schnelle Vorwärtsrückungen im accelerando oder unbedachte Betonungen auf schwerer Zeit sind; und hier sind wir auch schon beim zweiten Punkt, der Phrasierung, wo es eben noch viel edler wäre, nicht die erwarteten und oft wiederkehrenden Töne zu betonen (und auch nicht automatisch die auf schweren Taktteilen), sondern die unerwarteten, im Kontext neuen Noten. Davon abgesehen, muss unbedingt hervorgehoben werden, dass Alexander Chaushian ein exzellenter, ausdrucksstarker, wohl auch im quasi improvvisando begabter Virtuose ist, und Eduard Topchjan, hier als Chefdirigent seines Armenischen Nationalen Philharmonischen Orchester in Yerevan, ein präziser, schwungvoller, belebender Kapellmeister.
Mysterium und Folklore
Das Konzert von Arno Babadschanian (1921-83) ist 1962 entstanden. Babadschanian konnte eigentlich alles, vom Schlager und Popsong über illustrative Musik bis hin zu schicksalhaft existenzieller Symphonik wie in seinen Quartetten, Konzerten und der tragisch-machtvollen Sonate für Geige und Klavier. Dabei kann es hin und wieder – wie übrigens auch bei seinem großen Vorbild Schostakowitsch – zu gewissen Längen und Redundanzen kommen, die von den Musikern ein hohes Maß an gestalterischer Konzentration und weitschauender Disposition verlangen, um nicht einen sich dahinschleppenden Eindruck entstehen zu lassen. Das ist lediglich eine Gefahr, keine Unausweichlichkeit! Und hier gelingt es allen Beteiligten, auch das Brütende, gleichsam kreisend in sich Gekehrte noch spannungsvoll und intensiv im Fluss zu halten. Das 20minütige Werk besteht aus einem mysteriös verhaltenen langsamen und einem mit vielen Metrumwechseln primär auf 5/8-Aksak-Rhythmik fußenden, im Sinne Bartóks oder auch Sayguns sehr folkloristisch-musikantischen schnellen Satz. Dazwischen liegt eine Art neutrale Zone in gleichfalls langsamem Tempo wie eine utopische Traumlandschaft.
Neuartige Synthese und heterophone Verwebung
Das abschließende Konzert für Cello und Orchester 8.4 von Michel Petrossian (geb. 1973) stellt in 13 Minuten einen langsamen ersten Satz von unerhört fesselnder, heterophon girlandenreicher Verwebung im armenischen Stil mit modernen Verfremdungen, die erstaunlich organisch wirken, gegen ein halb so langen schnellen Satz, der kompromisslos auf einem Zwiespalt besteht, der den Hörer nicht zur Ruhe kommen und das Ende nicht als Auflösung erscheinen lässt. Eine sehr originelle und diskussionswürdige Komposition von einem hochbegabten Komponisten, der zu einer zum Teil neuartigen Synthese tradierter und experimenteller Stile gefunden hat.
Die Liner Notes bieten solide Information.
Christoph Schlüren [19.08.2023]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Aram Khatchaturian | ||
1 | Konzert e-Moll für Violoncello und Orchester | 00:34:58 |
Arno Babajanian | ||
4 | Konzert für Violoncello und Orchester | 00:19:52 |
Michel Petrossian | ||
7 | 8.4, concerto for cello and orchestra | 00:12:44 |
Interpreten der Einspielung
- Alexander Chaushian (Violoncello)
- Armenian Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Edouard Topchjan (Dirigent)