Nikos Skalkottas
Violin Concerto • Concerto for violin, viola and wind orchestra
BIS 2554
1 CD/SACD stereo/surround • 58min • 2020, 2022
16.07.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Nikos Skalkottas (1904-49) war nicht nur Griechenlands bedeutendster Komponist, sondern auch ein hochkarätiger Violinvirtuose, der die Karriereperspektive als Geiger jedoch opferte, um sich weitestgehend dem Komponieren zu widmen. Nach einem Concertino für Geige, Klavier und kleines Orchester von 1931, also aus seiner Berliner Zeit, wo er zusammen mit dem genialen Katalanen Roberto Gerhard und dem US-Amerikaner Marc Blitzstein Schüler Arnold Schönbergs war, entstanden während der späteren Jahre seines allzu kurzen Lebens im unfreiwilligen Exil im musikalisch isolierten Athen zwischen 1937 und 1945 drei Konzerte für bzw. mit Violine: zuerst das große Violinkonzert (1937-38), dann das ebenso umfangreiche Doppelkonzert für Violine, Bratsche und Blasorchester (1939-40), und schließlich noch ein Doppelkonzert für zwei Violinen und Orchester, das wie viele andere seiner Werke leider verschollen ist.
Als exzellenter Geiger verstand es Skalkottas, hochvirtuos für sein Instrument zu schreiben und dabei ganz bewusst mit den Grenzen des Realisierbaren zu jonglieren. Das Violinkonzert können nur erstrangige Virtuosen anständig bewältigen! Und auch das Doppelkonzert mit Bratsche erfordert von beiden Solisten souveränes Können auf höchstem solistischen und kammermusikalischen Niveau.
BIS Records führt mit dieser CD die vor langen Jahren begonnene und in unregelmäßigen Abständen erweiterte, singuläre Serie seiner Skalkottas-Einspielungen fort, und diesmal ist es gelungen, mit dem London Philharmonic Orchestra unter Martyn Brabbins Partner zu gewinnen, die technisch höchste Ansprüche erfüllen können. Die beiden Solisten stehen hinter diesem Niveau nicht zurück und fesseln mit bravourösem Impetus. Dabei tritt mit dem Geiger George Zacharias ein echter Experte in den Vordergrund, der sich schon seit Jahrzehnten mit Skalkottas auseinandersetzt und an Editionen seiner Werke beteiligt war.
Hochkomplex dodekaphonisches Violinkonzert
BIS legt es hier das Violinkonzert bereits zum zweiten Mal vor, nunmehr aufgrund einer akribisch durchkorrigierten Neuausgabe, und was die orchestrale Umsetzung betrifft, bedeutet dies auf jeden Fall einen wichtigen Schritt hin zu einer angemessenen Verwirklichung der Partitur in rein technischer Hinsicht. Zacharias meistert die recht horrenden Schwierigkeiten mit staunenswerter Akkuratesse. Das Konzert ist äußerst komplex konstruiert in seiner Detailstruktur, mit vielen übereinander gelagerten Zwölftonreihen in jenem aus der Schönberg’schen Dodekaphonie heraus entwickelten Personalstil, wie er für Skalkottas’ reife Zwölftonwerke typisch ist (daneben schrieb er auch seine berühmten, eindeutig tonalen Griechischen Tänze und eine größere Zahl größerer tonaler Werke in den letzten Jahren, und auch sehr prägnante Werke in der erweiterten Manier der Neuen Sachlichkeit wie auch in neoklassizistischem Idiom). Nun ist es leider ein Problem, diese Musik bewusst aushorchend zu durchdringen, wenn man darüber hinaus in den schnellen Sätzen partout versucht, außerdem noch den Metronomzahlen gerecht zu werden. Und so gelingt es im Kopfsatz nicht nur nicht, die vorgeschriebene mehrmalige Beschleunigung wirklich sinnträchtig zur Geltung zu bringen, sondern überhaupt lässt mich die Musik in allen Sätzen mit dem Eindruck zurück, dass man so sehr mit dem korrekten Ausführen des Notentexts beschäftigt war, dass keine Aufmerksamkeit für die musikalischen Zusammenhänge mehr erübrigt werden konnte – dies gilt für Dirigent und Orchester, die eine sehr achtbare Leistung vollbringen. Inwieweit der Solist in Interaktion mit einem Kollektiv von Musikern, die diese Musik wirklich kennen, ein überzeugenderes Resultat hätte erreichen können, bleibt eine offene Frage. Und unter normalen professionellen Umständen hat kein Orchester der Welt die Zeit und Muße, sich diese Musik so anzueignen, dass man sie tatsächlich zusammenhängend erleben und darstellen kann. Seien wir trotzdem dankbar für diese sehr durchsichtig aufgenommen Neueinspielung.
Mitreißendes Doppelkonzert mit Blasorchester
Das Doppelkonzert ist musikalisch längst nicht so komplex und abstrakt gearbeitet wie das Violinkonzert. Hier dürfte in der realen Akustik eher das Problem bestehen, dass die solistischen Streicher sich nicht ohne weiteres gegen das Blasorchester durchsetzen können (wobei Skalkottas beträchtliche Erfahrung als Blasorchester-Komponist sammelte und mit der Besetzung brillant umzugehen verstand). In den kontrapunktischen Verschlingungen – insbesondere in den Dialogen der beiden Solisten, aber auch im bzw. mit dem Orchester – ist dies ein wunderbar ansprechendes, bei allem Elan und Schwung auch sehr poetisches Werk, wie das Violinkonzert der klassischen Satzfolge schnell-langsam-schnell gehorchend, und hier kann der Hörer auf Anhieb einen weit plausibleren musikalischen Zusammenhang erfahren als im Violinkonzert. Hier wird sofort offenkundig, was für ein inspirierter, handwerklich vollendeter, mitreißender Komponist Skalkottas war. Beide Solisten agieren über die technische Souveränität hinaus sehr feurig und mit Freude, und mit dem Orchester spielt man sich – gestützt durch eine vortrefflich balancierende Aufnahmetechnik – mit sichtlichem Vergnügen und wachen Sinnes gegenseitig die Bälle zu. (Alexandros Koustas ist ein ganz vortrefflicher, sehr musikalischer Bratschensolist.) Dieses lebenssprühende Doppelkonzert ist ein Werk, dem wir gerne im Konzertsaal begegnen würden, und das hier nun endlich in Ersteinspielung vorliegt.
Interessant und anregend ist zudem der kenntnisreiche Booklettext vom Geigensolisten George Zacharias.
Christoph Schlüren [16.07.2023]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Nikos Skalkottas | ||
1 | Violinkonzert A/K 22 | 00:28:39 |
4 | Konzert A/K 25 für Violine, Viola und Blasorchester | 00:28:30 |
Interpreten der Einspielung
- George Zacharias (Violine)
- Alexandros Koustas (Viola)
- London Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Martyn Brabbins (Dirigent)