Edition Klavier-Festival Ruhr
Robert Schumann und York Höller
Initiativkreis Ruhr 8553519
2 CD • 2h 31min • 2022
20.01.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Seit rund 25 Jahren dokumentiert das Klavier-Festival Ruhr ausgewählte Konzerte in Rahmen einer umfangreichen CD-Edition, und so handelt es sich bei der vorliegenden Doppel-CD mit Mitschnitten des vergangenen Jahres bereits um die 41. Folge dieser Anthologie. Auf der ersten CD interpretieren die beiden Festival-Debütanten Elena Fischer-Dieskau und Giorgi Gigashvili Werke Robert Schumanns, während die zweite CD (u.a. mit Hanni Liang, Martin Helmchen sowie der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker) dem Schaffen York Höllers (Jg. 1944) gewidmet ist. Im Falle seines Doppelkonzerts für Violoncello, Klavier und Orchester handelt es sich sogar um die Uraufführung eines Auftragswerks des Festivals.
Lyrisch-zurückgenommener Schumann
Elena Fischer-Dieskau versteht Schumanns Musik insbesondere lyrisch-zurückgenommen, poetisch und gesanglich. Dieser Ansatz weiß in den meisten Nummern der Waldszenen und den intimeren Passagen der Klaviersonate Nr. 2 grundsätzlich zu überzeugen. Im Kopfsatz der Sonate reizt Fischer-Dieskau sicher die Grenzen nicht derart aus, wie es allein schon die Tempoanweisungen nahelegen. Wenn sie hier allerdings selbst Kulminationspunkte wie die dem zweiten Thema vorausgehenden Fortissimo-Akkorde deutlich abschwächt, geht dies doch etwas arg zu Lasten der Passion, des Überschwangs dieser Musik. Etwas überreizt erscheinen mir einige agogische Details, z.B. die starken Temposchwankungen in Vogel als Prophet (wobei es sich grundsätzlich sicher anbietet, etwa in T. 3 das Tempo etwas anzuziehen) oder die extreme Verzögerung vor dem verminderten Akkord, der dem finalen Prestissimo des Schlusssatzes der Sonate Nr. 2 vorausgeht.
Eine Darbietung mit Bravour
Der junge Georgier Giorgi Gigashvili spielt Schumanns Klaviersonate Nr. 1 mit viel Bravour, eine virtuose, extrovertierte Interpretation. Hervorzuheben ist auch sein Vermögen, das Klavier geradezu singen zu lassen, der Beginn des langsamen Satzes etwa gelingt ihm mit ausgesprochen zartem, delikatem Anschlag. Skeptischer bin ich bezüglich seines oft reichlich ausgiebigen Rubatos, zu beobachten schon ganz am Beginn, wenn Gigashvili die Triolen in der linken Hand weniger als Fundament begreift, sondern die scharfen Punktierungen in der rechten Hand fast mit nachvollzieht, und besonders im Finale, dessen Tempo extrem schwankt (die beiden semplice-Einschübe spielt er z.B. eher im Adagiotempo), was den tendenziell etwas episodischen Charakter dieses Satzes noch verstärkt. Das Pomposo des Intermezzos im 3. Satz interpretiert Gigashvili dann wieder eher elegant (um). Eine brillante, eindrucksvolle, aber nicht in allen Details überzeugende Darbietung.
Ein großartiger zeitgenössischer Zyklus von Charakterstücken
York Höllers Fünf Stücke von 1964, von ihm als sein Opus 1 bezeichnet, basieren auf einer Zwölftonreihe, lassen dabei aber bereits viel von seinem reifen Stil erkennen, wie man ihn dann in der Sonate Nr. 3 und ganz besonders den 14 Monogrammen (1995–2003) erleben kann. Für mich gehört dieser Zyklus zum Besten, was ich an Klaviermusik aus jüngerer Zeit gehört habe. Stücke von eminentem Klangsinn, oft genug erfüllt von einer Poesie, die durchaus schumannesk anmutet (und so die vermeintlich ungewöhnliche Kopplung dieses Albums rechtfertigt), prägnant nicht nur in der Kürze der Aussage, sondern oft auch in ihrem Melos, in ihrer Kunst, einprägsame Motive zu finden, die dabei niemals platt oder gar klischeehaft wirken. Bei aller grundsätzlichen stilistischen Homogenität gelingt es dem Komponisten, eine echte Vielfalt zu erschaffen. Prinzipiell atonal, meidet Höller tonale Wendungen nicht, und so lässt er sein Tastengeläut (Nr. 10) erst einmal in Es-Dur erklingen, und wenn am Ende Scanning den Zyklus gewissermaßen subsumiert, dann in Form eines echten rhythmisch pointierten „Rausschmeißers“ in C-Dur. Hanni Liangs Interpretationen sind vorzüglich, fein nuanciert, erfüllt von einem grundsätzlich warmen Timbre und bilden die Fülle von Klangfarben dieser Musik exzellent ab. Betrüblich nur, dass eines der Stücke (Nr. 12) nicht auf dem Album enthalten ist, vermutlich schlicht aus Platzgründen.
Höllers jüngstes Opus
Mit Höllers Doppelkonzert für Cello, Klavier und Orchester (2020/21) ist schließlich auch das jüngste Werk dieses Komponisten vertreten, hier als Mitschnitt der Uraufführung mit dem Ehepaar Marie-Elisabeth Hecker und Martin Helmchen als Solisten sowie dem Kölner Kammerorchester unter der Leitung von Christoph Poppen. Ein insgesamt etwas schrofferes, dramatisch akzentuiertes Werk, charakteristisch etwa die appellhaften Gesten des Cellos, denen man gleich in der langsamen Einleitung des Kopfsatzes begegnet. Eindrucksvoll sind insbesondere Momente wie die allmähliche „Entstehung“ der Musik aus dem zwölftönigen, dabei keinesfalls grellen Anfangsakkord heraus oder die nocturneartigen Klangfarben des Mittelsatzes.
Holger Sambale [20.01.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Robert Schumann | ||
1 | Eintritt op. 82 Nr. 1 | 00:02:18 |
2 | Jäger auf der Lauer op. 82 Nr. 2 | 00:01:24 |
3 | Einsame Blumen op. 82 Nr. 3 | 00:02:02 |
4 | Verrufene Stelle op. 82 Nr. 4 | 00:03:25 |
5 | Freundliche Landschaft op. 82 Nr. 5 | 00:01:23 |
6 | Herberge op. 82 Nr. 6 | 00:02:25 |
7 | Der Vogel als Prophet op. 82 Nr. 7 (Bearb. für Violine und Klavier) | 00:03:18 |
8 | Jagdlied op. 82 Nr. 8 | 00:02:42 |
9 | Abschied op. 82 Nr. 9 | 00:03:48 |
10 | Klaviersonate Nr. 2 g-Moll op. 22 | 00:19:39 |
14 | Klaviersonate Nr. 1 fis-Moll op. 11 | 00:30:04 |
CD/SACD 2 | ||
York Höller | ||
1 | Doppelkonzert für Violoncello, Klavier und Orchester | 00:22:06 |
4 | Fünf Stücke für Klavier (1964) | 00:10:33 |
9 | Sonate Nr. 12 für Klavier | 00:12:55 |
10 | Entrée (gewidmet B.A. Zimmermann; aus Monogramme – 14 Charakterstücke für Klavier) | 00:01:51 |
11 | Initium (gewidmet Karlheinz Stockhausen) | 00:02:42 |
12 | Widerhall (gewidmet Kristi Becker) | 00:01:31 |
13 | Widmung (gewidmet Daniel Barenboim) | 00:03:01 |
14 | Zwiegespräch (gewidmet Ursula) | 00:03:05 |
15 | Artikulation (gewidmet György Ligeti) | 00:01:58 |
16 | Frenesie | 00:01:20 |
17 | Gemäßigter Aufschwung | 00:03:14 |
18 | Verzweigung (gewidmet Pierre Boulez) | 00:02:03 |
19 | Tastengeläut | 00:04:18 |
20 | Elegia giocosa (gewidmet Hans Werner Henze) | 00:02:41 |
21 | Fluktuation (gewidmet Elena Bashkirova) | 00:02:16 |
22 | Scanning | 00:02:39 |
Interpreten der Einspielung
- Elena Fischer-Dieskau (Klavier)
- Giorgi Gigashvili (Klavier)
- Martin Helmchen (Klavier)
- Marie-Elisabeth Hecker (Violoncello)
- Kölner Kammerorchester (Orchester)
- Christoph Poppen (Dirigent)
- Hanni Liang (Klavier)