Georgs Pelēcis
Gadalaiki - Seasons
Linda Leine
SKANI 137
2 CD • 1h 47min • 2022
13.12.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Name des lettischen Komponisten Georgs Pelēcis, Jahrgang 1947 und damit fast gleichaltrig mit Pēteris Vasks, dürfte dem deutschen Publikum wohl vor allem in Zusammenhang mit CD-Einspielungen Gidon Kremers oder Alexei Lubimovs vertraut sein. Tatsächlich ist Pelēcis, Schüler Aram Chatschaturjans, ein produktiver Komponist, dessen Schaffen zahlreiche Genres abdeckt. Die vorliegende Doppel-CD des zum lettischen Musikinformationszentrum gehörigen Labels Skani ist zur Gänze seinem Jahreszeiten-Zyklus für Klavier gewidmet, der abgesehen vom bereits 1977 komponierten ersten Stück zwischen 2011 und 2021 entstand. Gleichzeitig ist diese Veröffentlichung auch das Debütalbum der lettischen Pianistin Linda Leine.
Ruhig fließende „Euphonie“
Wie für viele baltische Komponisten nicht nur seiner Generation weist Pelēcis’ Tonsprache deutliche Einflüsse der Minimal Music auf. Sie ist tonal, bewusst konsonant bzw. „euphonisch“ (im Wortlaut des Komponisten) gehalten und verströmt zumeist eine dezidiert ruhige, meditative Aura; als Inspirationsquelle dienen häufig Naturbilder. So besteht der vorliegende Zyklus aus sechs Stücken (neben den eigentlichen vier Jahreszeiten beginnt und endet er mit Referenzen an das Neue Jahr), die eine Gesamtspielzeit von nicht weniger als 106 Minuten in Anspruch nehmen. Die einzelnen Stücke dauern dabei zwischen 14 und 26 Minuten und sind in aller Regel bewusst homogen und tendenziell kontrastarm gehalten. Die beiden Neujahrsgrüße fungieren als Intrada bzw. Retirada, bereits was ihren festlichen Charakter inklusive Bezügen zu Barockmusik betrifft. Daneben spielen modale Elemente, die ein wenig an Renaissancemusik erinnern (Pelēcis ist auch Musikwissenschaftler mit Schwerpunkten Barock, Renaissance und Mittelalter) eine Rolle, ebenso wie Pentatonik, Anklänge an Gamelanmusik, manchmal ein Hauch von Jazz. In der Neujahrsmusik begegnet man diesen Komponenten kaleidoskophaft in Form von zahlreichen kleinen, auf wechselnden Mustern aufgebauten Abschnitten, die alle entweder in F-Dur oder in d-moll stehen, in Neujahr ist wieder da umrahmt festlich-barockes B-Dur (bei der Wiederholung mit oft oktavierten Bässen) einen langen, ruhigeren Mittelteil in g-moll, der wiederum eher minimalistisch anmutet.
Ausloten von Stimmungen statt Tonmalerei
Die eigentlichen vier Jahreszeiten gehen von ähnlichen Prinzipien aus, sind aber tendenziell introspektiver, allesamt in Moll-Tonarten (von Frühling bis Winter: a, e, fis, d) und relativ gemäßigten Tempi gehalten. Charakteristisch auch hier die ruhigen Achtelbewegungen, die man bereits in der Neujahrsmusik (linke Hand!) vernimmt. In Frühling und Sommer bildet eine solche Achtelbewegung (die im Sommer erneut wie eine barocke Spielformel anmutet) gar das Fundament der Musik, Melodik im eigentlichen Sinne spielt dabei eine insgesamt eher untergeordnete Rolle. Der Herbst ist eine Art dreistimmige Invention in gedämpfter Stimmung, wesentlich von Skalenbewegungen in der linken Hand geprägt und besonders homogen angelegt (insbesondere harmonisch – es dauert mehr als zwölf Minuten, bis sich die Musik für einige Augenblicke nach A-Dur bewegt, wie in dieser Musik generell kleinen Ereignissen große Bedeutung zukommt). Der Winter bildet insofern eine Ausnahme, als dass er eine Entwicklung beschreibt: ausgehend von der d-moll-Tonalität des Beginns, stärker akkordisch geprägt als der Rest des Zyklus (teils choralartig und mit fallenden Sekunden als prägendem Intervall) werden immer stärker Glockenklänge angedeutet, und etwa nach neun Minuten wendet sich die Musik in ein nun stärker rhythmisch konturiertes, fließenderes D-Dur, eine Art Festtagsstimmung, die am Ende ruhig verklingt. Generell allerdings spielen deskriptive Elemente, Tonmalerei in Pelēcis’ Zyklus keine sonderliche Rolle, es geht eher darum, Stimmungen (oft genug eine spezifische) auszuloten. Längen werden nicht nur durch Varianten, Techniken der Minimal Music erzeugt, sondern auch durch extensive Wiederholungen: hinter den 26 Minuten des Sommers verbirgt sich im Grunde genommen eine ternäre (ABA-) Form mit Coda, wobei der A-Teil zehn Minuten in Anspruch nimmt.
Formidable Interpretationen
Im (etwas arg schwärmerischen) Begleittext und weiteren Zitaten ist viel von der meditativen Wirkung dieser Musik die Rede, von der „Ruhe und Ordnung“, vom „Glück“ (Linda Leine), die sie vermitteln soll. Dies sind natürlich Wertungen, die sich erst einmal auf die individuelle Wahrnehmung beziehen und längst nicht zwangsläufig sind. Ohne diese spirituelle Dimension bleibt letztlich der Eindruck, dass die Stücke wesentliche, nicht immer musikalisch überzeugend motivierte Längen aufweisen mit bewusst reduzierten, einfach gehaltenen Mitteln, die mindestens auf Dauer arg monochrom wirken. Linda Leine erweist sich bei alledem als formidable Interpretin dieser Musik; da der Komponist offenbar selbst in die Aufnahmesitzungen involviert war, dürfen die Einspielungen überdies ein hohes Maß an Authentizität für sich in Anspruch nehmen. Schließlich sei an dieser Stelle noch die Arbeit des Labels Skani explizit gelobt, das auf vorbildliche Weise die Musik seines Landes international hör- und sichtbar macht.
Holger Sambale [13.12.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Georgs Pelécis | ||
1 | Gadalaiki (Seasons) | 01:46:30 |
Interpreten der Einspielung
- Linda Leine (Klavier)