Johann Mattheson
Boris Goudenow
cpo 555 502-2
2 CD • 2h 29min • 2021
07.11.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Hamburg leistete sich als wohlhabende Handelsstadt seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ein Opernhaus: Das war ein Luxus, den sich neben Welthandelsmetropolen wie Venedig lediglich prosperierende Fürstenhöfe leisten konnten. Mit Unterstützung von Hamburgs reicher Führungsschicht der Kaufmannschaft und anderer wohlhabender Geldgeber (vornehmlich aus dem benachbarten, damals dänischen Herrschaftsbereich) wurde 1678 die Oper am Gänsemarkt gegründet, das erste privatwirtschaftlich betriebene Opernhaus in Deutschland. Das beeindruckende Institut, das mit über 2000 Plätzen alle zeitgenössischen Opernräume übertraf, wurde zu einem wichtigen Zentrum der frühen deutschen Operngeschichte. Zu den Stars der Hamburger Oper gehörte auch der aus wohlhabender Hamburger Familie stammende Johann Mattheson (1681-1764). Er war als Sänger und Komponist seit 1699 an der Gänsmarkt-Oper tätig und ist durch sein Duell mit G. F. Händel im Jahr 1704 in die Skandalgeschichte der Musik eingegangen: Der Zwist der beiden Musiker hielt jedoch nicht an, und Händel suchte später noch oft Matthesons Rat. Die 1710 für das Hamburger Opernhaus komponierte Oper Boris Goudenow kam seinerzeit angesichts politischer Verwicklungen zwischen England, Schweden und Russland und mit Rücksicht auf eine eventuelle Brisanz des Opernstoffes für die Hansestadt, die gerade ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland auf eine solide Basis zu stellen suchte, nicht zur Aufführung, und geriet danach in Vergessenheit. Mit ihrer Wiederentdeckung stellt sie sich heute als erstrangiges Werk der deutschen Barockoper heraus.
Vom Komponisten zum Musikschriftsteller
Johann Mattheson hatte nach seiner Schulausbildung am Hamburger akademischen Gymnasium (das als „Gelehrtenschule des Johanneums“ bis auf den heutigen Tag besteht) gegen den Willen seiner Familie seine Laufbahn als Musiker durchgesetzt. Er ging an die Hamburger Oper – die er seine „Universität“ nannte – und machte dort als Sänger Furore, wurde auch ab 1715 Kirchenmusiker am Hamburger Dom. Wegen fortschreitender Ertaubung musste er seine Musikertätigkeit ab 1728 aufgeben und schuf sich neuen Ruhm als einer der einflussreichsten Musikschriftsteller seiner Zeit: Seine Schriften wie Der vollkommene Capellmeister und sein biographisches Lexikon Grundlage einer Ehren-Pforte von 1740 sind bis auf den heutigen Tag wichtige Quellen für das Musikleben in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts; ohne seine literarische Hinterlassenschaft wären unsere Kenntnisse über das Musikleben seiner Zeit heute bedeutend ärmer.
Beispiel barocker Opernkunst in Deutschland
Am Ende der 1990er Jahrer entdeckte der Hamburger Musikforscher Johannes Pausch in einem Konvolut von Hamburger Musikalien, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Armenien befanden hatten und nun an ihren ursprünglichen Ort zurückgekehrt waren, diese Oper von Johann Mattheson – das Werk entpuppte sich als hervorragende deutsche Barockoper, die mit Sicherheit mit einer Premiere im Jahr 1710 zu dem über Jahrzehnte weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus reichenden glänzenden Ruf der Hamburger Gänsmarktoper beigetragen hätte.
Prachtvolles Kunstwerk in ebenbürtiger Interpretation
Ein vorzüglich aufeinander abgestimmtes Vokalensemble und ein höchst einfühlsam den Affekten dieser Oper folgendes Instrumentalensemble machen diese Aufnahme einer hochrangigen deutschen Barockoper für heutige Zuhörer zu einem uneingeschränkten Hörvergnügen, bei dem auch die theatralische Darstellung der dramatischen Höhepunkte von Boris Goudenow nicht zu kurz kommt.
Detmar Huchting [07.11.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johann Mattheson | ||
1 | Boris Goudenow (Oper in drei Akten) | 02:28:48 |
Interpreten der Einspielung
- Olivier Gourdy (Boris Goudenow, Statthalter in Moskowien - Baß)
- Julie Goussot (Axinia, Tochter des Boris - Sopran)
- Sreten Manojlović (Fedro, ein Bojar - Baß)
- Yevhen Rakhmanin (Theodorus Iwanowitz, Zar - Baß)
- Flore Meersche (Irina, Gemahlin des Theodorus und Schwester von Boris - Sopran)
- Alice Lackner (Olga, russische Fürstin - Sopran)
- Eric Price (Josennah, ausländischer Prinz - Tenor)
- Joan Folqué (Gavurst, ausländischer Prinz - Tenor)
- Theresia (Ensemble)
- Andrea Marchiol (Dirigent)