Mel Bonis
Femmes de Légende
Œuvres pour piano
Kaleidos KAL 6360-2
1 CD • 52min • 2021, 2022
24.10.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Mehr und mehr rücken die Komponistinnen des 19. Jahrhunderts in den Fokus der Interpreten. Mélanie Bonis (1858-1937) hatte die Möglichkeit, vermittelt auch durch César Franck, am Pariser Konservatorium zu studieren, zusammen mit Ernest Chausson und Claude Debussy – den sie, bei aller Sympathie, durchaus kritisch sah als „entzückender Illustrator kurzer kleiner Dinge“. Ihren Kommilitonen Amédée Hettich durfte sie nicht heiraten, sondern stattdessen einen wesentlich älteren wohlhabenden Witwer, mit dem sie 35 Jahre zusammenlebte und drei Kinder hatte. Eins davon stammte aber von Amédée Hettich, mit dem sie eine Liaison hatte. Erst nach dem Tode ihres Mannes 1918 konnte sie sich wieder verstärkt dem Komponieren widmen. Ihr Gesamtwerk umfasst ca. 300 Kompositionen, darunter 60 Werke für Klavier, 30 Orgelwerke, Kammermusik, 25 geistliche Werke und 11 Orchesterwerke. Ein großer Teil wurde zu ihren Lebzeiten gedruckt. Ihr Kompositionsstil ist spätromantisch mit einigen Einflüssen des Impressionismus.
Rhetorische Überzeugungskraft
Einige der Klavierwerke – doch auch „kurze kleine Dinge“ – hat die aus Armenien stammende Pianistin Diana Sahakyan auf dieser CD vereint. Sie beweist dabei liebevolle Anteilnahme, enorme Wärme, einfühlsames Nachspüren der Emotionen, rhetorische Überzeugungskraft, differenzierten Klangsinn und äußerste Empfindsamkeit in immer klingendem Piano und bisweilen geheimnisumwitterte rhythmische Energie. Immer findet sie den richtigen großen Bogen, so dass die hübschen Einzelheiten nie auseinanderfallen, nie wird sie sentimental, bleibt immer straff und geschmackvoll. Sie malt und erzählt mit Noten und Saiten.
Rhapsodisches Raunen und vollgriffiges Rauschen
Die schön illustrierten „kurzen kleinen Dinge“ klingen mal, als habe Debussy die Werke von Chopin ein bisschen überarbeitet (Barcarolle op.71, Track 8), mal wie ein Mendelssohn’sches Lied ohne Worte (Romance sans paroles, op. 56, Track 9), mal wie qualitätsvolle Salonmusik im vorwärtsdrängenden Walzer-Rhythmus (Gai Printemps, Track 10), mal wie auf- und niederflatternde Schmetterlinge (Papillon, Track 14) oder gleich wie Chopin (Ballade, op. 27, Track 15). Hier trifft die Pianistin genau den ausschweifenden, aber doch formal gebundenen Balladen-Ton, lässt es mit hervorragender Technik rhapsodisch raunen und vollgriffig rauschen in immer natürlich gefühltem Rhythmus und Tempo. Unter ihren so sanft wie entschlossen greifenden Händen blühen viele bunte Klangblüten auf, in einer richtigen Mischung aus Zartheit, Klangdifferenzierung und energischem Zugriff. Es sind alles sehr schöne „kurze kleine Dinge“, „Encores“, deren Herkunft dann den Kritikern Kopfzerbrechen bereiten würden.
Frauenleben und -sterben
All ihre pianistischen Qualitäten kulminieren in den titelgebenden Femmes de Légende, einer Sammlung von musikalischen Illustrationen mythologischer oder literarischer Frauengestalten. Ob welliges Fließen, ob affektvolle Bewegtheit, ob mysteriöse farbglitzernde Arpeggien, ob französische Eleganz oder Nocturne-Zauber oder orientalische Schleiertanz-Atmosphäre: mühelos und mit stupender Technik fühlt Diana Sahakyan sich hinein in diese so verschiedenen Frauenleben und -sterben.
Unterstützt wird die Wirkung durch den hervorragend eingefangenen Raumklang mit poetischem Nachhall der Festeburgkirche in Frankfurt am Main.
Rainer W. Janka [24.10.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Mélanie Bonis | ||
1 | Femmes de Légende | 00:26:54 |
8 | Barcarolle op. 71 (À Gabrielle Monachablon) | 00:04:34 |
9 | Romance sans Paroles op. 56 (À Madame Gayrard-Pacini) | 00:02:10 |
10 | Gai Printemps | 00:01:59 |
11 | Romance sans Paroles | 00:02:36 |
12 | Menuet | 00:02:49 |
13 | Eglogue | 00:03:18 |
14 | Papillons | 00:01:26 |
15 | Ballade op. 27 (À Gabrielle Monchablon) | 00:06:03 |
Interpreten der Einspielung
- Diana Sahakyan (Klavier)