Heinrich Schütz
Dafne
Musical Reconstruction: Roland Wilson
cpo 555 494-2
1 CD • 75min • 2021
27.06.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Es ist vermutlich der am leidvollsten vermisste Schatz der deutschen Barockmusik: Die Musik zur ersten Oper in deutscher Sprache – Dafne, geschrieben von Heinrich Schütz auf ein Libretto von Martin Opitz, einem der bedeutendsten Dichter der deutschen Barockliteratur. Opitz und Schütz waren fürwahr ein Künstlerpaar, das dieser neuen Königsgattung der szenischen Musik, geboren in Italien und von Claudio Monteverdi auf erste olympische Höhen geführt, auch nördlich der Alpen eine bedeutende Stellung hätte verschaffen können. Aufgeführt wurde Dafne vermutlich nur ein einziges Mal: 1627 in Torgau im Rahmen der Feierlichkeiten, mit denen die Hochzeit der sächsischen Herzogin Sophie Eleonore und des hessischen Landgrafen Georg II. begangen wurde.
Musikalisches Sudoku
Diesen Vergleich zog Ronald Wilson im Februar 2022 in einem Interview anlässlich des Musikfestes Eichstätt heran, während dessen die erste Aufführung seiner Rekonstruktion der Partitur der Dafne anstand; er spitzte seinen Vergleich sogar zu, es gebe „Sondersudokus für Fortgeschrittene, wo es gar keine Zahl gibt. Aber es gibt besondere Hinweise und ganz besondere Regeln... Und da habe ich gedacht: Bei Schütz’ Dafne ist es ähnlich – es gibt gar keine Zahl in dem Quadrat, aber es gibt Hinweise. Und wenn man logisch denkt, kann man Vieles herauskriegen. Das war der Anfangspunkt.“
Die reichhaltige musikwissenschaftliche Literatur zu der verloren gegangenen Partitur kommentiert Wilson: „Wo’s nichts gibt, kann man viel erzählen“ und beweist dabei feinen englischen Humor.
Kein Original, aber eine passende musikalische Rekonstruktion
Der britische Humor des „Wo’s nichts gibt, kann man viel erzählen“ darf auch für Wilsons eigene Rekonstruktion der Dafne als Pasticcio stimmiger Kompositionen von Schütz und Zeitgenossen gelten. Allerdings – so führt Wilson selbst an – entsprechen die 50% der Urheberschaft von Schütz an der Musik in seiner Rekonstruktion genau dem Prozentsatz der Urheberschaft von Monteverdi selbst am Orfeo: „Das war ganz normal zu der Zeit, dass man Sachen von anderen Komponisten übernahm.“
Passend zu seinem Sudoku-Vergleich erkennt Wilson zunächst im Libretto von Martin Opitz eine freie Übersetzung des Librettos von Ottavio Rinuccini (1562-1621), nach dem bereits zwei frühe Opern entstanden waren: Das Libretto wurde 1598 von Jacopo Peri (1561-1633) als erste eigentliche Oper in Musik gesetzt, und um 1608 von Marco de Gagliano (1582-1643) erneut vertont. Opitz dichtete also ein vorheriges Textbuch in einen deutschen Text um, was für die immense Neugier zeugt, die man nördlich der Alpen innerhalb der deutschen Kulturszene für die neuesten Entwicklungen innerhalb der italienischen Musik hegte; sie drang ja in kontinuierlichem Kulturstrom von Italien ins nördliche Geschisterland der Alpen vor, mit dem schon lange historische und kulturelle Gemeinsamkeiten bestanden.
Opitz und Schütz waren im Übrigen befreundet und der bedeutende Barockdichter hat auch Texte zu verschiedenen Madrigalen des Komponisten gedichtet.
Italienischer Einfluss nördlich der Alpen
Nach Überzeugung von Ronald Wilson hat Heinrich Schütz die italienischen Pioniere der Entwicklung des neuen Genres der Oper gut gekannt – sowohl Monteverdis Orfeo von 1606/07 wie auch die beiden Dafne von Jacopo Peri und von Marco de Gagliano. Musik seiner Zeit überwanden die Alpen ohne große Schwierigkeiten, anders wären die vielfältigen Beeinflussungen der deutschen durch die italienische Musik im späten 16. und frühen17. Jahrhundert kaum zu erklären. Überdies wirkte im Ensemble der Aufführung seiner Dafne sein Schüler Johann Nauwach, ein Mitglied der Dresdner Hofkapelle, als Lautenist mit – trug übrigens auch mit eigenen Werken zur musikalischen Gestaltung dieser Fürstenhochzeit bei, die den Rahmen der einzigen Aufführung der Dafne bildete. Nauwach hatte unter anderem in Florenz studiert und war dort zweifellos auch Gagliano begegnet, konnte also Schütz, der von 1609-1612 bei Giovanni Gabrieli in Venedig studiert hatte (von Schütz übrigens als einziger Lehrer seines Lebens anerkannt), autentisch berichten. Ein weiterer, längerer Aufenthalt führte Schütz 1628 nach Italien, also erst nach der Aufführung der Dafne, deren Partitur bereits während des 30-jährigen Krieges, also nicht lang nach ihrer Aufführung und noch während der Lebenszeit ihres Komponisten verloren gegangen zu sein scheint.
Prachtvolle Musik in spektakulärer Besetzung
Dass die Aufführung seiner Rekonstruktion der Dafne Ronald Wilson besonders am Herzen lag, bedarf keiner weiteren Erklärung: Für die Produktion wurden mit dem Deutschlandfunk Kultur und seiner erfahrenen Redakteurin Bettina C. Schmidt ideale Partner gefunden, die dem Label cpo eine perfekte Produktion liefern konnten; cpo geht ja wie nur wenige andere Schallplattenfirmen das Wagnis ein, Einspielungen von Musik, die nur durch ihr Pontenzial für sich bürgen können, eine Chance zu geben.
Wilsons Musiker der Ensembles La Capella Ducale und Musica Fiata geben alle ihre Virtuosität und musikalische Begeisterung, um diese Rekonstruktion des Beginns der deutschen Operngeschichte auch für heutige Zuhörer zu einem besonderen und begeisternden Hörerlebnis zu machen.
Detmar Huchting [27.06.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Heinrich Schütz | ||
1 | Dafne (Oper in fünf Szenen, Torgau 1627) | 01:15:15 |
Interpreten der Einspielung
- La Capella Ducale (Chor)
- Musica Fiata (Ensemble)
- Roland Wilson (Dirigent)