Alexander Glazunov
MDG 952 2235-6
1 CD/SACD stereo • 74min • 2021
14.03.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Alexander Glasunow (1865–1936) gehört zu den Komponisten, deren Name zwar weithin geläufig ist und deren Schaffen diskographisch gut erschlossen ist, ohne aber wirklich zum Kernrepertoire zu gehören. Schon in jungen Jahren fand er ausgehend von der Gruppe der Fünf zu seinem eigenen Tonfall; später setzte zwar noch eine gewisse Verfeinerung sowie eine partielle Rezeption weiterer Einflüsse wie etwa Tschaikowski ein, doch im Grunde genommen ergibt sich vom Opus 1 des 16-jährigen bis hin zu den Werken nach der Oktoberrevolution ein ausgesprochen homogener Gesamteindruck. Insbesondere ist Glasunow ein hervorragender Orchestrator, der es blendend versteht, musikalische Bilder zu malen, die etwa von Landschaften des russischen Reichs oder historischen Szenen inspiriert sind; ein psychologisierendes Moment à la Tschaikowski findet man in seiner Musik dagegen kaum. Auch deshalb wird seine Musik vielleicht tendenziell stets etwas unterschätzt.
Glasunows Pastorale und farbenprächtige Orchesterstücke
Das Detmolder Label MDG hat sich bereits mit einer sehr guten Gesamteinspielung seiner Streichquartette Verdienste um Glasunows Schaffen erworben; nun folgt eine SACD mit Orchesterwerken. Es mag ein wenig erstaunen, dass es sich gleichzeitig um die überhaupt erst zweite CD unter Mitwirkung der in dieser Form seit über 70 Jahren bestehenden Niederrheinischen Sinfoniker (des Orchesters des Theaters Krefeld Mönchengladbach) handelt, hier unter Leitung ihres estnischen Generalmusikdirektors Mihkel Kütson. Zentrales Werk ist Glasunows Siebte Sinfonie (1902/03), seine sogenannte Pastorale. Natürlich ist der Titel (wie in diesem Kontext auch die Tonart F-Dur) als Beethoven-Referenz zu verstehen, und in der Tat ist dieser Bezug besonders beim bukolischen Anfang des Kopfsatzes offensichtlich. Damit jedoch enden auch bereits die Gemeinsamkeiten; zweiter und vierter Satz etwa sind bei Glasunow wesentlich von choralartigen Gesten der Blechbläser geprägt, gravitätisch-ernst im sarabandenhaften Andante, festlich-monumental im Finale. Dazwischen steht ein lebhaftes Scherzo, das aber erneut auch leicht zeremonielle Elemente (Hörner ab 0:46) mit einbezieht. Ergänzt wird das Programm durch drei von Glasunows zahlreichen Orchesterstücken: der sinfonischen Dichtung Stenka Rasin, die vom Kontrast von auf dem berühmten Lieds der Wolgaschiffer aufgebauter Thematik und den Orientalismen des Seitenthemas lebt, dem in exquisiten Farben funkelnden Poème lyrique (beide Mitte der 1880er Jahre entstanden) und schließlich der effektvollen Ouvertüre Karneval.
Kultivierte, hörenswerte Lesarten
Kütson und seine Niederrheinischen Sinfoniker bieten dabei grundsolide, hörenswerte Lesarten dieser Werke, die vom hohen Grundniveau des Orchesters zeugen. Abstriche im Vergleich zu den Spitzenaufnahmen sind eher im Bereich der musikalischen Gestaltung festzustellen. Exemplarisch mag der erste Satz der Siebten Sinfonie herhalten: Glasunow schreibt hier ein Allegro moderato, das von einem bemerkenswert langsamen Grundpuls (Viertel = 84) ausgeht, der zwar alsbald gesteigert wird, jedoch während des gesamten Satzes immer wieder aufgegriffen wird (und auch so endet), ein Wechselspiel also zwischen Ruhe und Belebung. Hier wären einerseits die entsprechenden Kontraste noch klarer hervorzuheben (und speziell die lyrischen Passagen intensiver auszusingen), andererseits auch die Entwicklung der Musik stärker nachzuvollziehen: zum Beispiel beschreibt die Durchführung einen fast kontinuierlichen Spannungsbogen bis hin zur Wiederaufnahme des Hauptthemas im Fortissimo zwei Takte nach Ziffer 12, in dem auch Streicherfigurationen wie etwa vier Takte vor Ziffer 9 ihre Bewandtnis haben, indem sie Spannung aufbauen, der Musik Richtung geben. Im Vergleich etwa zu José Serebriers exzellenter Gesamteinspielung von Glasunows Sinfonien oder auch Swetlanows ganz anders gearteter, breiterer, schwerblütigerer (auch langsamerer, aber deswegen keinesfalls spannungsärmerer) Lesart gibt es hier in der Neuerscheinung noch Luft nach oben. Ähnlich verhält es sich bei der Karnevalsouvertüre: hier liegen Kütson und sein Orchester deutlich unter dem geforderten Tempo (Halbe = 100), und der karnevaleske Wirbel, den das Stück z.B. bei Swetlanow entfaltet (der hier schnell spielen lässt), will nicht recht zur Geltung kommen, auch weil z.B. die dynamische Bandbreite (bis zum dreifachen Forte) nicht immer konsequent ausgereizt wird und die polyphonen Strukturen gegen Ende klarer herausgearbeitet werden könnten. Nichtsdestoweniger handelt es sich um gediegene, kultivierte Interpretationen, die eine willkommene Ergänzung des nicht überreichen Glasunow-Katalogs darstellen und eine gute Visitenkarte für das Orchester abgeben. Der Begleittext ist flüssig geschrieben und informativ, der Klang der CD gut, aber etwas distanziert (vgl. z.B. den sehr leise geratenen Einsatz der Orgel im Mittelteil der Karnevalsouvertüre).
Holger Sambale [14.03.2022]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Alexander Glasunow | ||
1 | Sinfonie Nr. 7 F-Dur op. 77 (Pastora’nayal) | 00:36:08 |
5 | Stenka Rasin op. 13 | 00:16:51 |
6 | Poème lyrique op. 12 | 00:10:06 |
7 | Ouverture Carnaval op. 45 | 00:11:11 |
Interpreten der Einspielung
- Niederrheinische Sinfoniker (Orchester)
- Mihkel Kütson (Dirigent)